Als er 16 war, so erzählt er auf seiner Website, kam die Oma eines Freundes ins Heim. Der fand das o.k., Markus nicht. Dann studierte Markus Wirtschaft und wurde Abteilungsleiter in einer Werkzeugfirma. Und litt darunter, dass er wegen der Konkurrenz immer wieder Kollegen entlassen musste. Eines Tages hatte er einen besonderen Auftrag: Werkzeug an Günther Wallraff auszuliefern. Dessen Buch "Ganz unten" hatte er schon als Schüler verschlungen. Nun stand er seinem Helden leibhaftig gegenüber, und am Ende der intensiven Gespräche kündigte er, ermutigt durch Wallraff, seine Stelle und verdingte sich als Pflegehelfer in Heimen, um wie Wallraff undercover zu recherchieren. Ergebnis war das Buch "Abgezockt und totgepflegt". Ein Folgebuch mit guten Modellen erschien unter dem Titel "Gesund gepflegt statt abgezockt".
Jetzt hat er wieder einen Einsatz in einem Heim gehabt, allerdings erheblich kürzer als früher: Als "Reiner Mayers" arbeitete er am 11. und 12. August zwei Nachmittagsschichten zu je sechs Stunden in der Auguste-Viktoria-Stiftung (Der Beitrag findet sich hier).
Hintergrund zum "Pflege-TÜV"
Für die Öffentlichkeit spielt nun eine Rolle, dass Heime seit einem Jahr nach einer Prüfung benotet werden. Damit verbinden sich hohe Erwartungen. So wird das Interview auf EinsExtra anmoderiert mit dem Satz "Ob der Pflege-TÜV tatsächlich die Pflege verbessert, ist fraglich." Verbessert der Auto-TÜV die Autos? Nein, er kann nur Autos aus dem Verkehr ziehen, die nicht mehr fahrtüchtig sind. Problem: Wie man eine Pflegeeinrichtung testet, ist noch längst nicht ausdiskutiert. Aktuell liegt eine Studie im Auftrag des Spitzenverbands der an den Pflegenoten Beteiligten vor, nach der es dafür keine wissenschaftlichen Kriterien gibt.
Daraufhin hat das Sozialgericht Münster einer Klage eines Heims gegen die Veröffentlichung statt gegeben. Der Beirat der Studie erkennt jedoch im "Pflege-TÜV" grundsätzlich den richtigen Weg. Verbessert werden solle die Gewichtung der Kriterien – auch das ein Ergebnis der Studie. Im Schulnotensystem, so die ständige Kritik, der sich Breitscheidel anschließt, können schlechte Noten durch gute ausgeglichen werden, zum Beispiel schlechte Pflege durch das Vorhandensein eines Gartens. Aber wie kann der Prüfer feststellen, ob im Ergebnis schlechte Pflege geleistet wird? Hier klagen die Praktiker unisono, dass viel zu sehr die schriftliche Dokumentation geprüft würde. Das führt zu "exorbitanter Bürokratie", wie in den Forumsbeiträgen zu lesen ist.
"Aktionismus"
Der ehemalige Heimleiter, den Markus Breitscheidel besucht hat, spricht von "Aktionismus". Welche Indikatoren überhaupt aussagekräftig sind, das wird zur Zeit in einer zweiten grundsätzlichen Studie noch erforscht. Ein Team aus einem Kölner Institut und der Bielefelder Universität arbeitet daran. Zum Jahresende soll diese von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Arbeit fertig sein. Wilfried Voigt, Vorsitzender des Deutschen Evangelischen Verbands für Altenarbeit und Pflege e. V. (DEVAP) weist in einer Veröffentlichung darauf hin, dass vor Verbesserungen erst diese Ergebnisse abgewartet werden müssen.
Fakt ist, dass die Meinung der Bewohner zwar abgefragt wird und nachgelesen werden kann, aber überhaupt nicht in die Pflegenote eingeht. Diese Information fehlte in dem Interview. Auch die einzelnen Pflegenoten der Auguste-Viktoria-Stiftung kamen nicht vor. Da erfährt man zum Beispiel, dass die Flüssigkeitsversorgung bei neun Bewohnern geprüft wurde und eine glatte Eins bekam. Markus Breitscheidel hat bei einer Frau großen Durst festgestellt. Ein Beleg dafür, dass die Prüfung – anhand der schriftlich dokumentierten Trinkmenge - falsch angelegt ist? Oder hat es schlicht den Grund, dass er nicht als Prüfer oder Reporter, sondern als Helfer dort war?
Was tun? Breitscheidel hat viele Vorschläge gesammelt, zum Beispiel auch die tarifgerechte Bezahlung des Personals.
Kritik an Panorama
"Letztlich ist das ganze System auf Verschleierung angelegt", klagt er, und ruft die Pflegekräfte auf, sich zu äußern. Manche kritisieren online auch ihn, etwa eine Mitarbeiterin, die selbst in der Stiftung gearbeitet hat. Sie lobt das Haus und schilt: "Ausserdem ist unser Gesundheits- und Pflegesystem krank, und das nicht erst seit gestern. Alles zu Lasten der Pflegekräfte. Und dann wird man auch noch öffentlich angeklagt." - "Die Gesamtsituation hat so gewirkt, als gebe es Pflegedefizite", empfand Bernd Seguin vor dem Bildschirm, als ehemaliger Ressortleiter Soziales beim NDR mit dem Thema vertraut.
Was sagen die Verantwortlichen selbst dazu? Seit Panorama per E-Mail am 24. August die Leitung mit "schwerwiegenden Pflegemängeln" konfrontierte, wurden alle Einzelheiten der Vorwürfe erfragt, überprüft und "vollständig entkräftet und aufgeklärt", so Pressesprecherin Kerstin Fechner. Dennoch habe die Redaktion einen Teil der Vorwürfe aufrechterhalten. Heute, nachdem die Betroffenen die heimlich gedrehten Bilder gestern Abend selbst das erste Mal gesehen haben, wurden die letzten Recherchen angestellt. Einer der zehn Punkte welche Qualitätsbeauftragte Anke Peters der Presse vorstellte: Keiner der dementen Bewohner in der Frühstücksrunde erhält irgendwelche ruhig stellenden Medikamente. Kerstin Fechner sieht Panorama-Recherchen nach diesen Erlebnissen jetzt skeptischer.
Letztlich muss man sich direkt und, wenn möglich, persönlich zu informieren. Wie auch Markus Breitscheidel rät: "Auf jeden Fall persönlich hingehen und seinem eigenen Eindruck trauen." In der Auguste-Viktoria-Stiftung gibt es gleich an diesem Samstag bei einem Tag der offenen Tür die Gelegenheit.
Katharina Weyandt arbeitet als freie Journalistin für evangelisch.de und betreut den Kreis "Wenn die Eltern älter werden" in unserer Community.