Einem der beiden muss die Sache wie ein Alptraum vorkommen: Entweder Jörg Kachelmann, der, möglicherweise nichts Böses ahnend, am 20. März von den Olympischen Winterspielen in Vancouver zurückkommt und gleich am Flughafen verhaftet wird. Der aus allen Wolken fällt, als man ihn beschuldigt, seine ehemalige Geliebte bedroht und vergewaltigt zu haben. Der mehr als 130 Tage in Untersuchungshaft sitzt und hilflos ansehen muss, wie immer neue Details seines Intimlebens in der Öffentlichkeit ausgebreitet werden.
Oder aber dem mutmaßlichen Opfer: Einer Frau Ende 30, in den Medien meist "Sabine" genannt, die seit 1998 ein Verhältnis mit Kachelmann hatte. Die zwölf Jahre lang auf ihn wartet und hofft. Und dann - wenn man ihr glaubt - eine Reihe von Demütigungen erlebt, die kaum zu ertragen sind: zu erkennen, dass ihr Geliebter sie die ganze Zeit getäuscht hat, von diesem Mann brutal missbraucht zu werden. Und schließlich, nachdem sie den Mut hatte, ihn anzuzeigen, öffentlich als Lügnerin beschimpft zu werden.
Am Montag wird vor dem Landgericht Mannheim der Prozess gegen den 52 Jahre alten Schweizer beginnen. 13 Sitzungstage sind geplant, 25 Zeugen und 5 Sachverständige sollen vernommen werden - alles, um eine Frage zu klären: Was geschah in der Nacht vom 8. auf den 9. Februar 2010?
"Sabine" soll Kachelmann Flugtickets gezeigt haben, die auf ihn und eine andere Frau lauteten. Sie habe ihn zur Rede gestellt. Was dann geschah, ist umstritten: Laut Anklage wollte sich "Sabine" von Kachelmann trennen. Daraufhin habe er sie mit einem Küchenmesser bedroht und zum Geschlechtsverkehr gezwungen. Dabei habe er ihr das Messer gegen den Hals gedrückt. Während und nach der Tat soll er gedroht haben, sie umzubringen. Kachelmann hingegen bestreitet die Tat. Sie hätten sich getrennt, traurig, aber friedlich, dann sei er in ein Hotel gefahren.
Schwieriger Prozess
Es dürfte schon so schwer genug sein, die Wahrheit über diese Nacht zu ermitteln - doch hinzu kommt, dass seit der Verhaftung des Moderators ein beispielloser "Vorprozess" in den Medien stattfindet. "Spiegel", "Focus" und "Zeit" berichteten ausführlich aus Ermittlungsakten und Gutachten.
"Ich fand das mehr als erstaunlich, was die alles wussten", sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft Mannheim, Andreas Grossmann. Er betont: "Von uns hatten sie's nicht." Vorwürfe, wonach die Staatsanwaltschaft Kachelmanns Persönlichkeitsrechte besser hätte schützen müssen, weist Grossmann zurück: "Es ist illusorisch anzunehmen, die Behörden könnten den Namen eines inhaftierten Prominenten über Monate geheim halten."
Kachelmann ist gegen mehrere Veröffentlichungen gerichtlich vorgegangen; vom Springer-Verlag fordert er wegen Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte eine Entschädigung in Höhe von rund zwei Millionen Euro. Nach seiner Freilassung am 29. Juli ging der Moderator selbst in die PR-Offensive: In zwei Interviews betonte er seine Unschuld.
Gericht nennt keine Namen von Zeugen
Es wird sich zeigen, wie die 5. Große Strafkammer des Landgerichts Mannheim den öffentlichen Druck ausblenden kann. Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nennt das Gericht keine Namen von Zeugen. Die Staatsanwaltschaft bestätigte nur, dass "diverse weibliche Zeugen aus dem Umfeld des Angeklagten" geladen seien. Doch eine Zeugin hat bereits vor ihrem Auftritt vor Gericht in der Zeitschrift "Bunte" ausgesagt. Auch das Magazin der "Süddeutschen Zeitung" druckte vergangene Woche Aussagen verschiedener Freundinnen und Kolleginnen des Moderators. Der öffentliche Vorprozess, so scheint es, dreht sich inzwischen vor allem um die Frage, was für ein Mensch Kachelmann ist.
Es fällt auf, dass auch das Landgericht zunächst die Zeuginnen aus dem Umfeld Kachelmanns hören will - und erst gegen Schluss, ab dem 9. Verhandlungstag, das mutmaßliche Opfer. Erfahrene Strafrechtler halten dies für ungewöhnlich: "Die Frauen können die Persönlichkeit des Angeklagten beleuchten - ob das, was ihm vorgeworfen wird, schlüssig ist im Vergleich zu anderen Verhaltensmustern", sagt der Berliner Strafverteidiger Ulrich Wehner. "Aber sie können naturgemäß zum Kerngeschehen nichts sagen."
Allein auf dieses Kerngeschehen kommt es jedoch bei der strafrechtlichen Beurteilung an - auf das, was in der Nacht zum 9. Februar passiert ist. «Zu verhandeln ist nicht seine Persönlichkeit", sagt Wehner. "Der Vorwurf lautet nicht: 'allgemeine Fehlbehandlung von Frauen'."