"Hart aber fair": Plasberg entzaubert Sarrazin
Bei „Beckmann“ erklärte Thilo Sarrazin noch, er sei nun erst einmal damit beschäftigt, die Auflage seines Buches in die Höhe zu treiben. Das macht er sehr fleißig, nun also auch bei „Hart aber fair“. Anders als Beckmann machte es Frank Plasberg Sarrazin allerdings nicht so leicht, mit seinen Thesen zur Integration zu punkten.
02.09.2010
Von Henrik Schmitz

Und in der Tat war es vor allem Plasberg, dem es mit seinen Fragen und Einspielfilmen gelang, Sarrazin an verschiedenen Stellen zu entzaubern. Sarrazin, der Mann der Zahlen, stand gelegentlich als Nullnummer da. In 120 Jahren hätten mehr als drei Viertel aller Einwohner Deutschlands einen Migrationshintergrund, rechnet Sarazin in seinem Buch vor. Die „Hart aber fair“-Redaktion bat das Statistische Bundesamt, auf Basis der deutschen Bevölkerung von 1890 eine Rechnung nach „Sarrazin-Art“ nachzuvollziehen. Das Ergebnis: Deutschland hätte heute eine Ausländerquote von etwa 8,3 Prozent (stimmt) und eine Bevölkerung von über 250 Millionen Einwohnern (stimmt gar nicht). Die Fragwürdigkeit sarrazinscher Modellrechnungen lässt sich anschaulicher wohl kaum darstellen.

Wenig schmeichelhaft für Sarrazin war zudem, dass ausgerechnet die Intelligenzforscherin Elsbeth Stern, auf die er sich in seinem Buch mehrfach bezieht, ihm entschieden widerspricht. Sarrazin werde der Komplexität des Themas Intelligenz bei seinen Thesen zur Vererbbarkeit nicht gerecht und ignoriere vor allem die vielfältigen sozialen Einflüsse, so ihre Kritik. Keinesfalls drohe auch ein Absinken des durchschnittlichen Intelligenzniveaus in Deutschland dadurch, dass Menschen mit niedriger Intelligenz überdurchschnittlich viele Kinder bekämen. Bei derlei klug eingesetzten Einspielern war auch verzeihlich, dass „Hart aber fair“ quasi einen Film recycelte, der bereits beim Auftritt Sarrazins in der Sendung vom Oktober 2009 zum Einsatz kam (Kritik zur Sendung hier) und eine Straße in Duisburg zeigte, in der quasi eine türkische „Parallelgesellschaft“ mit türkischen Geschäften, Ärzten und Apotheken etc. verwirklicht ist. So toll war der Film eigentlich schon im vergangenen Oktober nicht, dass man ihn nun in Teilen nochmal zeigen musste.

Schwache Gäste

So toll waren auch die Gäste nicht drauf, die Plasberg neben Sarrazin ins Studio geladen hatte. Als Sarrazin-Kritiker traten Michel Friedman, die Journalistin Asli Sevindim und Rudolf Dressler auf, unterstützt wurde Sarrazin von dem Historiker Arnulf Baring.

Hauptangriffspunkt der Kritiker waren dabei Sarrazins Thesen zur Vererbbarkeit und die in einem Zeitungsinterview getroffene Aussage, Volksgruppen, darunter Juden oder Basken, seien durch bestimmte Gene unterscheidbar. Eine „pseudowissenschaftliche Analyse über Vererbbarkeit“ sei menschenverachtend und respektlos, kritisierte Friedman. Sevindim war der Ansicht, es gebe keine genetische Vererbbarkeit der Intelligenz, zudem werteten verschiedene Experten die von Sarrazin bemühten Statistiken anders als er. „Es gibt Integrationsprobleme in Deutschland, aber zur Lösung brauchen wir nicht Sie, sagte Sevindim zu Sarrazin.

Sarrazin rudert zurück

Anders als noch am Montag bei Beckmann ruderte Sarrazin immerhin in einem Punkt zurück und erklärte seine Aussage, Juden hätten alle ein gemeinsames Gen, als „riesen Unfug“ und eine „inhaltliche Dummheit“, die mit seinem Buch nichts zu tun habe. Er sei auch nicht der Meinung, dass es eine „genetische Identität“ gebe, was Michel Friedman aber nicht völlig überzeugte. „Der Gedanke, dass ein Kollektiv ein gleiches Genmerkmal hat, ist ein rassistischer Gedanke, den ich für überwunden gehalten habe. Das ist eine Schande für die Bundesbank und das ist eine Schande für Sie“, rief er an Sarrazin gewandt.

Trotz des emotionalen Themas gelang es Plasberg, eine sehr geordnete Debatte zu führen. Wenn Sarrazin Gefahr lief, wieder in den Tiefen des von ihm offenbar sehr geschätzten Mikrozensus abzutauchen, zog ihn Plasberg wieder auf eine Ebene hinauf, auf der sich auch der durchschnittliche Zuschauer bewegt. Wenn Sarrazin über sein mangelndes musikalisches Talent philosophierte, fragte Plasberg kess, wie wichtig es ihm sei, aktuell die erste Geige zu spielen. (Angeblich keine, Sarrazin geht es natürlich nur um "die Sache".) Doch anstatt einseitig Kritik an Sarrazin zu üben, konfrontierte Plasberg seine Gäste durchaus auch mit Versäumnissen der Integrationspolitik – nicht nur am Beispiel Duisburg.

Keine Treffer

Und doch blieben die Diskutanten – auch Sarrazin, der mehr als einmal ins Stottern geriet - seltsam blass. Die Journalistin Sevindim, deren Biografie ein Musterbeispiel gelungener Integration ist, diskutierte emotional, konnte aber mit ihren Angriffen auf Sarrazin keinen echten Treffer landen. „Sie bieten keine Lösungen an“, war der etwas schwache Kernvorwurf. Rudolf Dressler sagte so gut wie nichts. Wenn doch, wiederholte er zum Teil sogar wörtlich Sätze, die vorher Michel Friedman gesagt hatte. Was vielleicht daran lag, dass Friedman zwar nicht gerade mit Detailkenntnissen oder gut recherchierten Fakten punktete, aber wie immer knackig formulierte. Wenn jemand „Überfremdungsängste aushuste“, sei dies miserabel, echauffierte sich Friedman und ergänzte, Sarrazins Buch sei kein „konstruktives Feuer der Begegnung“, sondern ein „Brandstiftungsfeuer“. Immerhin: Auch Friedman warnte vor vorhandenen Parallelgesellschaften und kritisierte, es gebe auch unter Muslimen (vor allem Männern) solche, die "die gemeinsame Wertegemeinschaft" in Deutschland nicht respektierten.

Mit Sarrazins „Biologismus“ konnte auch Arnulf Baring recht wenig anfangen, der ansonsten aber viel Zustimmung äußerte. Sarrazin habe einen „kenntnisreichen Essay“ geschrieben über ein tabuisiertes Problemthema, das die Politik längst „zukunftsfest“ hätte anfassen müssen, sagte der Historiker. Politiker „tippten“ zwar viele Themen an, aber es passiere nichts, wie aktuell auch am Beispiel „Stuttgart 21“ zu beobachten sei, das Ausdruck einer massiven Unzufriedenheit in der Bevölkerung sei.

Keine Partei rechts von der CDU

Genauso wenig wie Sarrazin, der versprach, sich nie wieder als aktiver Politiker betätigen zu wollen, sieht Baring sich allerdings als mögliche Gallionsfigur einer Partei „rechts von der CDU“, die es ohnehin nicht geben werde, unter anderem aus „demografischen und finanziellen Gründen“, wie Baring ausführte. Sarrazin formulierte es spitzer. In neuen Parteien sammelten sich – egal wie gut die Absicht auch sein möge – zunächst vor allem Spinner und Irre. „Siehe Linkspartei“, sagte Sarrazin.

In eine Falle, die ihm Plasberg hatte stellen wollen, tappte er zum Ende der Sendung dann auch nicht. Am Ende seines Buches warnt Sarrazin (satirisch, wie er meint) vor einem Deutschland, in dem „Wandrers Nachtlied“ von Goethe nicht mehr bekannt sei. Plasbergs Team fragte mal vor einer einem Gymnasium nach (ausgerechnet einer „Goethe Schule“), ob „Wandrers Nachtlied“ aktuell überhaupt noch bekannt ist. Das eher traurige Ergebnis: Nein – bei Schülern nicht und bei Lehrern auch nicht.

Wandrers Nachtlied

„Kennen Sie es“, fragte Plasberg Thilo Sarrazin, der sich keine Blöße gab und rezitierte: „Über allen Gipfeln Ist Ruh, In allen Wipfeln Spürest du Kaum einen Hauch; Die Vögelein schweigen im Walde. Warte nur, balde Ruhest du auch.“

Dass Sarrazin Ruhe gibt, darauf warten aktuell viele. Auf ein Ende des Schweigens im Walde beim Thema Integrationspolitik allerdings auch. Es war, Plasberg sei Dank, eine gute Sendung. Nicht nur unterhaltsam, sondern auch aufklärerisch im besten Sinne.


Henrik Schmitz ist Redakteur bei evangelisch.de und betreut die Ressorts Medien und Kultur.