Henri Rousseau: Vom "Zöllner" zum Surrealisten
Noch heute gilt Henri Rousseau als Begründer einer eigenständigen Kunst. Vor 100 Jahren starb der Klempnersohn und malende Autodidakt in Paris.
01.09.2010
Von Andreas Rehnolt

Mit seinen spektakulären Dschungelbildern und faszinierenden Darstellungen seines Heimatlandes Frankreich gehört Henri Rousseau (1844-1910) zu den Wegbereitern der modernen Kunst. Er starb vor 100 Jahren, am 2. September 1910 in Paris an einer Blutvergiftung. Nur sieben Menschen kamen zu seinem Begräbnis. Einer von ihnen war der Schriftsteller Guillaume Apollinaire, von dem die Worte auf Rousseaus Grabstein stammen. Unter anderem heißt es dort: "Wir bringen dir Pinsel, Farben und Leinwand. Damit du malest in der geheiligten Muße des wahren Lichts."

Vom "Zöllner" zum Surrealisten

Rousseau, am 21. Mai 1844 im französischen Laval geboren, kam spät zur Malerei. Der Sohn eines Klempnermeisters begann zwar schon in seiner Jugend, sich für Dichtung und Musik zu interessieren, doch arbeitete er zunächst als Schreiber bei einem Gerichtsvollzieher, später als Zollbeamter. Daher stammt auch sein Beiname "der Zöllner". Seine freie Zeit nutzte er zum Malen. Es entstanden zunächst kleine Bilder, auf denen er seine Umwelt festhielt. Schon in dieser Phase hatte es ihm die Natur angetan: Er verband in seinen Werken die geordnete Zivilisation mit dem eigenständigen Wachsen der Natur.

Nach dem Tod seiner Ehefrau ließ er sich 1893 im Alter von 49 Jahren pensionieren, finanzierte seine Familie und seine Malerei unter anderem durch Musikunterricht. Schon davor hatte er im Louvre in Paris Gemälde kopiert. Erste Ausstellungen seiner eigenen Bilder gab es 1885, wirklichen wirtschaftlichen Erfolg hatte er allerdings erst mit seinen Dschungelbildern. Eines der schönsten ist sicherlich das in seinem Todesjahr entstandene zwei mal drei Meter große Bild "Der Traum" - ein Dickicht mit Löwen, einem kugelrunden Mond, Tierköpfen und einer nackten Frau auf einem Sofa. Es hängt im Museum of Modern Art in New York.

Vorläufer des Surrealismus

In die Mode der damaligen Zeit, die von der impressionistischen Magie des Lichts und dem Erfassen des Augenblicks geprägt war, passten Rousseaus Werke jedoch nicht. Vielfach verspottet und als Außenseiter abgetan hatte der Maler aber wichtige Freunde. Dazu gehörte der junge Pablo Picasso. Er kaufte ihm das Bild "Portrait de femme" ab und veranstaltete ihm zu Ehren 1908 das "Banquet Rousseau", zu dem Künstler und Intellektuelle geladen wurden. Auch der Maler Georges Braque und der in Paris lebende deutsche Kunsthändler Wilhelm Uhde, der als einer der "Entdecker" Rousseaus gilt, zählten zu seinen Förderern. Nicht zuletzt die große Anerkennung der 30 bis 40 Jahre jüngeren Künstlerkollegen war es, die den eigenbrötlerischen Maler beflügelte.

Rousseaus Bilder machten die Fläche zum zentralen Element seiner Kunst. In seinen Anfangsbildern begrenzten noch häufig Mauern das dichte Grün, doch diese sprengte er in seinen späteren Werken. Er malte Porträts, Landschaftsausschnitte, Moment-Aufnahmen, die an Fotografien erinnern und immer wieder Wald, Bäume, Grün. Erst relativ spät - um 1905 - entdeckt der nur 1,63 Meter große Maler den Dschungel als Motiv. Der Urwald auf seinen Bildern hat nichts Bedrohliches. Es scheint, als habe "der Künstler ihn erschlossen", schrieb ein Kritiker. Seine Werke galten Kunstkennern lange als "naiv", zählen heute jedoch zu den Vorläufern des Surrealismus.

Ganz genau achtete Rousseau darauf, seine Pflanzen korrekt zu malen. Anregungen holte er sich unter anderem bei Besuchen im botanischen Garten. Bei sich zu Hause hatte er eine umfangreiche Sammlung von Pflanzenblättern.

Ausstellung im Guggenheim-Museum in Bilbao

Im Jahr seines 100. Todestages widmete die Fondation Beyeler in Basel Henri Rousseau bereits im Frühjahr eine Ausstellung; noch bis zum 12. September zeigt das Guggenheim-Museum im baskischen Bilbao eine Auswahl seiner Werke. Der eigentümliche Stil des Malers entstand nach Angaben des Museums dadurch, dass er in einer Art gemalten Collage vorhandene, voneinander unabhängige Elemente ausschnitt und übereinander fügte. "Dieses kompositorische Verfahren", urteilen die Kuratoren in Bilbao, "war eine Quelle der Inspiration für Avantgarde-Künstler wie Picasso, Fernand Léger und Max Ernst".

epd