EKD-Friedensbeauftragter: Kriegsende – Kriege ohne Ende?
Der Irakkrieg ist nach siebeneinhalb Jahren offiziell beendet. Der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Renke Brahms zieht in einem Exklusivbeitrag für evangelisch.de eine negative Bilanz der militärischen Auseinandersetzungen. Der von den USA und weiteren Staaten ohne völkerrechtliche Grundlage geführte Krieg habe mehr Schaden als Nutzen gebracht, so der Theologe. Brahms mahnt anlässlich des Weltfriedenstages am 1. September zugleich dazu, den Blick verstärkt auf die Opfer von Kriegen zu richten und mehr in Friedensbemühungen zu investieren.
31.08.2010
Von Renke Brahms

Am 31. August endet offiziell die "Operation Iraqui Freedom", mit der die USA und eine sogenannte Koalition der Willigen im Jahr 2003 den Irakkrieg begonnen hatten. Der Einsatz wandelt sich in die "Operation New Dawn" (Neubeginn), bei der 50.000 Soldaten der USA weiter im Land bleiben sollen, um irakische Soldaten auszubilden. Nach dem Willen des US–Präsidenten sollen auch diese Truppen im Laufe des Jahres 2011 abziehen.

Ohne völkerrechtliche Grundlage hatten die USA, Großbritannien und andere "Willige" 2003 diesen Krieg begonnen. Begründet wurde dieser Einsatz mit dem Verdacht, der Irak unter der Herrschaft Saddam Husseins entwickele Massenvernichtungsmittel, wolle und könne sie in kürzester Zeit einsetzen. Unvergessen bleiben muss die Lüge des US-Außenministers Colin Powell vor dem UN-Sicherheitsrat. Er hatte angebliche Luftaufnahmen einer Chemiewaffenfabrik gezeigt, von denen er wissen musste, dass es schlichte Wassertankwagen waren. Außerdem wurde eine enge Zusammenarbeit Husseins mit dem Terrornetzwerk Al-Quaida konstruiert.

Bis zu 650.000 Tote

Der Irakkrieg kostete fast 5.000 Soldaten verschiedener Nationen das Leben, an die 10.000 irakische Soldaten und Polizisten starben. Über die Zahlen der getöteten Zivilisten gibt es unterschiedliche Angaben. Man muss von bis zu 100.000 zivilen Opfern ausgehen, andere Schätzungen gehen von bis zu 650.000 Opfern aus. Die Kosten belaufen sich nach unterschiedlichen Angaben auf bis zu 620 Milliarden Dollar allein für die USA. Andere schätzen die wahren Kosten auf bis zu drei Billionen Dollar.

Ja, das Regime Saddam Husseins war menschenverachtend und grausam, der Irak weigerte sich, mit der internationalen Gemeinschaft zu kooperieren. Eine Veränderung der politischen Verhältnisse im Irak wurde herbeigesehnt. Gerade angesichts dieser Tatsachen aber stellt sich die Frage eines militärischen Eingreifens umso drastischer. Denn Unrechtsregime gibt viele. So müsste die internationale Gemeinschaft im Kongo eingegriffen haben, in Somalia eingreifen – Kriege ohne Ende?

Kirchen strikt gegen Militäreinsatz

Die Kirchen haben sich strikt gegen einen militärischen Einsatz im Irak ausgesprochen und davor gewarnt. "In großer Übereinstimmung mit den anderen christlichen Kirchen in Deutschland und in der Welt lehnen wir beim gegenwärtigen Sachstand aus ethischen wie aus völkerrechtlichen Gründen einen Angriff auf den Irak ab (...). Evangelische Friedensethik lässt sich von dem Grundsatz leiten: 'Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.' Jeder Krieg ist ein so großes Übel, dass der Einsatz militärischer Gewalt von der Politik nur im äußersten Notfall erwogen werden darf und auch dann noch unentrinnbar mit Schuld verbunden bleibt. Jeder Krieg bringt Elend über viele Unschuldige und erreicht oft nicht einmal die Ziele, um deretwillen er geführt wird. Selbst nach den Regeln des Völkerrechts wäre ein Angriff auf den Irak derzeit nicht zu rechtfertigen (...)."

Das erklärte der Rat der EKD in Übereinstimmung mit dem Ökumenischen Rat der Kirchen und vielen anderen Kirchen im Jahr 2003. In den Kirchen wurden Friedensgebete gehalten, um dieser Grundhaltung Ausdruck zu verleihen und für einen friedlichen Weg zu beten. Auch im Lichte der Friedensdenkschrift der EKD von 2007 gibt es mehrere Argumente, die zur Ablehnung des Irakkrieg geführt haben. Die wichtigsten sind sicherlich die fehlende Autorisierung durch die Vereinten Nationen sowie die Einschätzung, dass nicht alle politischen Mittel ausgeschöpft waren. Damit war der militärische Einsatz nicht als letztes Mittel - ultima ratio - zu erkennen (Foto/dpa: Friedensdemonstration in Hamburg im Jahr 2003).

Der auf Lügen aufgebaute Krieg, der völkerrechtlich als Angriffskrieg zu bewerten ist, hat dem Ansehen und der Akzeptanz der USA und des gesamten Westens in der islamischen Welt massiv geschadet. Dazu beigetragen haben auch die verheerenden Bilder aus dem Gefängnis Abu Ghraib, auf denen die Folterungen amerikanischer Soldaten und Geheimdienstmitarbeiter an den Gefangenen zu sehen waren. In der Abwägung der Verhältnismäßigkeit der Folgen ist der Schaden größer als der Nutzen.

Kreuzweg statt Siegeszug

In der Karfreitagspredigt von 2008 erklärte der Ratsvorsitzende der EKD, Bischof Wolfgang Huber den Irakkrieg als globale Sackgasse, in dem der "geplante Siegeszug der Freiheit" zu einem "leidvollen Kreuzweg" für die Menschen geworden sei. Damit ging er auch auf die verfolgten Christen im Irak ein, die zur Flucht gedrängt wurden. Nach mühevollen Verhandlungen haben sie unter anderem auch in Deutschland eine Heimat.

Zum offiziellen Ende des Irakkrieges stellen sich die grundsätzlichen Fragen nach dem Beginn und der Beendigung eines militärischen Eingreifens - angesichts der Situationen in Irak und Afghanistan und im Licht des 1. September umso dringender. Der Gedenktag zum Beginn des Zweiten Weltkrieges und des Überfalls auf Polen im Jahr 1939 mahnt uns zur Perspektive auf die Opfer und der Folgen eines Krieges. Die Hürden für den Beginn eines militärischen Eingreifens im Sinne einer rechtserhaltenden Gewalt sind ausgesprochen hoch – und sie müssen es sein.

Vorrangig sind alle politischen, diplomatischen und andere zivile Mittel auszuschöpfen und der Prävention der erste Platz einzuräumen. Noch immer ist die Politik zu sehr auf militärische Sicherheit und Strategie fixiert. Die Erforschung und Entwicklung gewaltfreier Konfliktlösungsstrategien wird im Gegensatz zu den technischen Entwicklungen für das Militär noch immer vernachlässigt. Das gilt auch angesichts des Afghanistan-Einsatzes, auf dessen Beendigung wir warten.

Der 1. September mahnt uns neu dazu, in den Frieden zu investieren und nicht in den Krieg!


Renke Brahms (54) ist Friedensbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sowie Schriftführer - höchster geistlicher Repräsentant - der Bremischen Evangelischen Kirche.