Urbanisierung und Armut in Asien: Stadtluft macht frei?
Peking will gering qualifizierte Arbeiter ausweisen. Damit soll der Bevölkerungsdruck in der chinesischen Hauptstadt gemildert werden. Um städtische Ressourcen zu entlasten, sollen arbeitsintensive Industrien und der Niedriglohnsektor verkleinert werden, heißt es in einem Beschluss des Stadtkongresses von Ende Juli. Das Problem der unkontrollierten Urbanisierung gibt es überall in Südostasien.
31.08.2010
Von Michael Lenz

Rund 7,26 Millionen offiziell registrierte Wanderarbeiter leben derzeit in Peking. Knapp ein Viertel ist innerhalb der vergangenen vier Jahre in die chinesische Hauptstadt gezogen. Die Behörden schätzen, dass weitere drei Millionen Wanderarbeiter unregistriert in der Stadt leben. Peking hatte Ende 2009 mehr als 19,7 Millionen Einwohner. Diese Zahl hatten die Behörden ursprünglich erst im Jahr 2020 erwartet.

Peking ist kein Einzelfall. Dem Problem der unkontrollierten Urbanisierung sehen sich auch die süd- und südostasiatischen Metropolen wie Manila und Jakarta, Neu Delhi und Phnom Penh gegenüber. Noch immer scheint der Slogan aus dem Mittelalter "Stadtluft macht frei" zu gelten – frei von wirtschaftlicher Not, frei von kulturellen, sozialen oder auch religiösen Zwängen. Aber das Leben in den asiatischen Städten Asiens des 21. Jahrhunderts bringt statt der erhofften Freiheit, Arbeit und Einkommen nur Not und Elend.

So etwas wie Stadtplanung gibt es nicht

Von einer Bevölkerungs- und Stadtplanung kann in den meisten dieser Metropolen keine Rede sein In der Folge entstehen Slums, in den Menschen unter unwürdigen hygienischen, gesundheitlichen, sozialen Bedingungen leben. Jeden Tag wächst weltweit die Zahl der Stadtbevölkerungen um 200.000 Menschen. Nach Angaben von UN Habitat leben 62 Prozent der Bevölkerung in den afrikanischen Städten in Slums. In Asien, Heimat von 60 Prozent der Weltbevölkerung, liegt der Anteil der Slumbewohner an der Stadtbevölkerung je nach Region zwischen 24 und 42 Prozent.

Das Millionenheer der Armen ist nicht unwillkommen in den Städten, sind sie doch ein unerschöpflicher Quell billiger Arbeitskräfte, die als Putzfrauen, Hausmädchen, Kellner, Fabrikarbeiter, Bauarbeiter, Taxifahrer und Sexarbeiter gebraucht werden. Die Slums werden geduldet, solange das Land, auf dem sie ihre Hütten gebaut haben, keinen Profit verspricht. Sobald aber Investoren im Verein mit korrupten Stadtregierungen ihr begehrliches Auge auf Grundstücke werfen, werden die Armen mit der Hilfe von Polizei und Armee vertrieben.

Zum Beispiel in Phnom Penh rund um den See Boeung Kak in bester Lage im Zentrum der kambodschanischen Hauptstadt. Der See wird derzeit zugeschüttet, um auf dem so gewonnenen Land Luxuswohnungen, Luxushotels und opulenten Shopping Malls zu bauen. Auf 132 Hektar Land rund um den Boeung Kak See sind 4.252 Familien von der Zwangsräumung bedroht. Oder, bei einer konservativen Schätzung von fünf Personen pro Familie, fast 22.000 Menschen.

Kolap in Phnom Penh muss gehen ...

Eine davon ist die Familie von Kolap. Elf Menschen, ein Hund und zwei Katzen teilen sich die Hütte auf einem hölzernen Steg im See. Der große Raum mit einer riesigen Stereoanlage und einem großen Fernseher ist Wohnzimmer, Schlafzimmer, Vorratslager, Esszimmer und Garage für die drei Mopeds zugleich. An den Wänden hängen Fotos der Kinder und Enkelkinder bei Hochzeiten oder bei der Schulabschlussfeier. Lücken im Dach sind mit Pappe geflickt.

Das Haus mag bescheiden sein, aber Kolap (im gelben T-Shirt) und ihr Mann sind stolz auf ihr Heim. "Das ist unser Haus. Wir haben es 1990 gekauft", sagt Kolap und fügt hinzu: "Wir haben die Dokumente und können alles beweisen. Wir wollen bleiben und das wollen alle hier." Zur Not würden sie auch gehen, aber nur, wenn ihnen die Stadt und die Baufirma eine angemessene Entschädigung zahlen würden. Aber davon kann keine Rede sein. "Sie haben uns zwei Millionen Riel (8.000 Dollar) geboten oder alternativ ein Haus draußen auf dem Land in Damnak Troyeng . Aber für das Geld können wir uns hier in der Stadt kein neues Haus kaufen und in Damnak Troyeng gibt es keine Arbeit", entrüstet sich die Mutter von sechs Kindern, die als Verkäuferin an einem Getränkestand arbeitet, während ihr Mann ein Tuktukfahrer ist.

... und Sugima in Jakarta auch

In Jakarta droht Sugima der Verlust ihres Hauses. Seit 1970 lebt die heute 63-jährige in Bukit Duri, einem Slumviertel am Ufer des Flusses Ciliwung. Zusammen mit ihrem Mann ist sie damals von Yogyakarta nach Jakarta gezogen. "Hier gab es mehr Arbeit", sagt Sugima. Der Ehemann ist 1980 gestorben und seitdem musste sie sich und ihre drei Töchter in einer Hütte alleine durchbringen. Ihren Lebensunterhalt verdient Sugima mit einem kleinen Marktstand, an dem sie Kräuter, Tütensuppen und etwas Gemüse verkauft. Durchschnittlich 20.000 Rupiah oder umgerechnet 1,75 Euro nimmt sie am Tag ein. "Das ist genug", sagt sie und fügt hinzu: "Das Leben hier ist nicht einfach. Aber ich will hier nicht weg. Das ist mein Zuhause."

Der völlig verdreckte und mit Unmengen von Müll zugestopfte Ciliwung ist einer von 13 Flüssen in der Metropolenregion Jakarta mit mehr als 24 Millionen Menschen, die in naher Zukunft gesäubert werden sollen. Ziel der von der Weltbank finanzierten Großreinigung ist es, die regelmäßigen Überflutungen Jakartas zu mildern. Die Slums entlang der Ufer des Ciliwung müssen dafür weichen und die Bewohner haben Zweifel, dass sie die zugesagten Ersatzwohnungen wirklich bekommen werden.

"Im letzten Jahr alleine waren in Jakarta 12.000 Familien von Vertreibungen betroffen", sagt der Jesuitenpater Sandyawan, der in den Bukit Duri den Widerstand gegen die drohende Vertreibung organisiert. "Ein paar wenige bekommen Ersatzwohnungen, das ist eine Show für TV und Medien. Was fehlt, ist die Arbeit. Mit dem Verlust ihrer Häuser geht gewöhnlich der Verlust des Einkommens einher."

Neu: Klimaflüchtlinge

Der Zustrom in die Städte Asiens reißt nicht ab. Im Gegenteil, er wird durch den Klimawandel noch verstärkt. Dürren, Landerosionen an den Küsten oder auch Unwetterkatastrophen wie gerade in Pakistan rauben den Armen ihre bescheidenen Lebensgrundlagen. Auch für die Klimaflüchtlinge sind Städte die letzte Hoffnung, obwohl die Städte selbst schon ihren eigenen Probleme mit dem Klimawandel haben. Eine Studie der Umweltorganisation WWF hat ergeben, dass die asiatischen Großstädte besonders anfällig für die sozio-ökonomischen Auswirkungen des Klimawandels sind.

Aber kaum eine der elf vom WWF untersuchten asiatischen Städte ist jedoch in der Lage, die Klimawandelprobleme in den Griff zu bekommen. Am schlechtesten ist es mit der Adaptionsfähigkeit in Dhaka und Jakarta bestellt, am besten noch in Singapur und Shanghai. 1900 lebten 13 Prozent der Menschheit in Städten. Heute sind es 50 Prozent und 2030 werden es schon 60 Prozent sein. Städte bedecken weniger als ein Prozent der Erdoberfläche, benötigen aber 75 Prozent der weltweiten verbrauchten Energie und sind für 75 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich.

Spitzenreiter bei der Urbanisierung ist - China. Nach offiziellen Angaben lebten bereits Ende vergangenen Jahres 46,6 Prozent der rund 1,3 Milliarden Chinesen in Städten. Wer nicht mehr in Peking leben darf, wird sein Glück eben in der vielen anderen Millionenstädte Chinas versuchen. 166 davon gibt es schon. Tendenz: steigend.


Michael Lenz arbeitet als freier Journalist in Südostasien und schreibt regelmäßig für evangelisch.de.