Sarrazin bei Beckmann: Plauderei mit viel Statistik
Seit Tagen beherrscht Thilo Sarrazin die Schlagzeilen, am Montag meldete er sich dann auch auf der Mattscheibe als Gast bei Reinhold Beckmann, der weniger als bohrender Nachfrager denn als netter Plauderer bekannt ist. Eine nette Plauderei wurde es hingegen nicht. Stattdessen erlebten die Zuschauer eine zum Teil konfuse Diskussionsrunde, in der es Sarrazin allerdings nicht gelang, die Thesen seines Buches zu untermauern. Umgekehrt vermochten es seine Kritiker jedoch auch nicht, Sarrazin überzeugend zu widerlegen.
31.08.2010
Von Henrik Schmitz

Dabei hatte sich Beckmann solche Mühe gegeben. Mit Grünen-Fraktionschefin Renate Künast, SPD-Vorstandsmitglied Olaf Scholz, der niedersächsischen Integrationsministerin Aygun Özkan (CDU) und dem Wissenschaftsjournalisten Rangar Yogeshwar sah sich Sarrazin gleich mit vier Kritikern konfrontiert, denen später noch eine zugeschaltete Wissenschaftlerin mit Zahlenmaterial zur Seite sprang.

Allein: Außer Yogeshwar, der noch besser als Sarrazin wusste, wer auf welcher Seite des umstrittenes Buches zitiert wird, wirkten die Kritiker schlecht vorbereitet. Vor allem Renate Künast redete in Sätzen, bei denen Anfang und Ende eigentlich in keinem Zusammenhang zueinander standen, so dass der Zuschauer ihr kaum folgen konnte. Das galt allerdings auch für die gesamte Diskussion. Von der „Vieldimensionalität der Intelligenz“ war ebenso die Rede wie von „phänotypisch markierten Migranten“ oder der „Nettoreproduktionsrate der Einwanderer“. Wohlgemerkt: In der Sendung ging es um Menschen. Wenn Sarrazin sich dann aber noch in Details des Mikrozensus verlor, was er in der Sendung oft tat, war die Verwirrung komplett. Verstärkt noch dadurch, dass Moderator Beckmann ausgerechnet immer dann dazwischen fuhr, wenn die Diskutanten gerade erklären wollten, was sie mit ihren wilden Argumentationsketten eigentlich sagen wollten.

Nicht die "absolute Wahrheit"

Bei Sarrazin liegt die Sache noch weitgehend klar. In seinem Buch werde nicht die „absolute Wahrheit“ verkündet, gab der ehemalige Berliner Finanzsenator selbst zu und gab Künast, Özkan und Scholz gleich noch einen mit, indem er sie als Angehörige der „abgehobenen Klasse“ der Politiker bezeichnete. Allerdings habe er sich mit einigen Statistiken befasst und zeige in seinem Buch Zusammenhänge auf, die ihn bewegt hätten. Dazu zähle, dass bei Migranten in der zweiten Generation in den Bereichen Bildung, Beteiligung am Arbeitsleben und Abhängigkeit von Transferleistungen kaum Unterschiede zur deutschen Bevölkerung bestünden. Ausnahme seien muslimische Migranten wo zum Teil – hier besonders bei türkischstämmigen Menschen – sogar Verschlechterungen in den genannten Bereichen zu verzeichnen seien. Zudem bekräftigte Sarrazin seine These, dass Intelligenz zu „50 bis 80 Prozent“ vererbt werde und verschiedene Volksstämme, darunter auch Juden, sich in einzelnen Genen voneinander unterscheiden würden. „Unerträglich“ nannte dies der stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, in einem Einspielfilm. Sarrazin reduziere Menschen auf „kaltes Genmaterial“.

Wann immer er angegriffen wurde, konterte Sarrazin mit Statistiken. Und war dabei erfolgreich, weil außer Yogeshwar niemand die Statistiken konkret widerlegte oder begründet in Zweifel zog. „Mein Eindruck ist, dass ihre These am Anfang stand und eben nicht das Ergebnis von Wissenschaft ist“, kritisierte Yogeshwar und hielt Sarrazin vor, dass die Integration muslimischer Migranten in Kanada und Schweden sehr gut gelinge, das Problem also nicht allein bei den Migranten selbst sondern auch in der Gesellschaft liegen müsse, in die diese einwanderten. Zudem sei das Buch „200 Jahre nach Darwin“ erschreckend „unmodern“. In einem ihrer wenigen guten Momente in der Sendung warf Renate Künast Sarrazin zudem vor, er vergleiche alles miteinander und packe zusammen, was nicht zusammen gehört.

Die Sache mit den Zahlen

Tatsächlich scheint die Frage bei Sarrazins Buch nicht zu sein, ob die Statistiken, die er bemüht, existieren und richtig sind, sondern die, ob diese Statistiken dazu geeignet sind, das zu belegen, was Sarrazin zu wissen glaubt.

Die zugeschaltete Wissenschaftlerin Naika Foroutan immerhin hielt Sarrazin ganz andere Zahlen entgegen und behauptete, gerade bei türkischstämmigen Migranten seien erhebliche Fortschritte zu erkennen. Leider kämen diese Zahlen aber nicht „gegen das Bauchgefühl des Herrn Sarrazin“ an. Was allerdings auch daran liegen könnte, das Foroutans Zahlen nun auch nicht gerade überzeugend waren. Als Fortschritt im Bereich der Deutschkenntnisse von Migranten wertete sie, dass 83 Prozent der jungen türkischen Männer über sich selbst sagen würden, sie sprächen gut bis sehr gut deutsch. Dass Eigen- und Fremdwahrnehmung zwei Paar Schuhe sind, fällt bei solchen Statistiken ein wenig unter den Tisch.
Sehr zurückhaltend zeigte sich Olaf Scholz, der immerhin überzeugend begründete, warum der SPD-Vorstand für einen Ausschluss Sarrazins aus der Partei votiert habe.

Sendung überfrachtet

Sozialdemokratie bedeute davon auszugehen, dass jeder Mensch eine Chance habe und bekommen müsse, sich zu entwickeln. Mit seinen Thesen zur Vererbbarkeit von Intelligenz spreche Sarrazin bestimmten Bevölkerungsgruppen diese Entwicklungsfähigkeit aber ab. „Wir müssen den Menschen die Gelegenheit geben, sich aus ihren Verhältnissen zu befreien und ihnen nicht einfach sagen: ,Ihr seid so und ihr bleibt so‘.“

Vielleicht war die Sendung trotz über einer Stunde Länge überfrachtet. Sogar ein Streetworker durfte noch über seine Arbeit mit jugendlichen Migranten reden und fordern, die einzelnen Schicksale müssten mehr in den Mittelpunkt rücken. Das ist nett gedacht aber utopisch, weil Politik sich eben nicht an einzelnen Schicksalen ausrichten kann, sondern sozusagen die Summe der Schicksale im Auge haben muss. Beinahe lächerlich wurde es, als Beckmann sekundiert von Renate Künast dann noch wissen wollte, wie viel Sarrazin von seinen Buchhonoraren für die Verbesserung der Situation von Migranten spenden werde. Auf diese Debatte ließ Sarrazin sich zu Recht nicht ein. Wie immer gab es aber bei Onkel Beckmann am Ende auch so etwas wie Einigkeit. Bessere Bildung, mehr Ganztagsbetreuung, hier liege der Schlüssel für bessere Integration, hieß es. Alle nickten.

Am Mittwoch geht's zu Plasberg

Am Mittwoch ist Sarrazin dann bei „Hart aber fair“ zu Gast und wird dort auf Michel Friedman treffen. Das könnte spannend und unterhaltsam werden. Dass Sarrazins Thesen durchaus angreifbar sind, davon hat „Beckmann“ zumindest einen Eindruck hinterlassen. Herr Friedman, übernehmen Sie!


Henrik Schmitz ist Redakteur bei evangelisch.de und betreut die Ressorts Medien und Kultur. Die Kritik zur "Beckmann"-Ausgabe mit Thilo Sarrazin von evangelisch.de-Redakteur Hanno Terbuyken finden Sie hier.