Islamkritikerin Kelek: Sarrazin sagt die Wahrheit
Die türkischstämmige Sozialwissenschaftlerin Neclá Kelek unterstützt die umstrittenen Thesen von Thilo Sarrazin zur Integrationspolitik und fordert eine inhaltliche Debatte. Die Bundesbank wird dagegen am Nachmittag eine Erklärung zu ihrem Vorstandsmitglied abgeben. Sarrazin stellt heute sein umstrittenes Buch vor.

Mit der Erklärung Webers sei frühestens am Nachmittag zu rechnen, sagte ein Sprecher des Geldinstituts in Frankfurt am Main. Weber befindet sich auf dem Rückweg von einem USA-Aufenthalt. Eine Abberufung Sarrazins von seiner Tätigkeit bei der Bundesbank ist kompliziert, er muss sich "grundsätzliche und weitreichende Verfehlung" zuschulden kommen lassen. Sarrazin ist wegen seiner Äußerungen zu muslimischen Zuwanderern und dem Erbgut von Juden zunehmend unter Druck geraten.

In der mehr als 50-jährigen Geschichte der Notenbank ist es noch nie vorgekommen, dass ein Vorstand wegen Verfehlungen entlassen wurde. Der Vorstand der Notenbank kontrolliert sich selbst und wacht über das Verhalten der Vorstände. Er hat das Recht, die Abberufung eines seiner Mitglieder beim Bundespräsidenten zu beantragen.

Andere Verfassungsorgane wie die Bundesregierung haben dagegen keinen Einfluss und können einen Frankfurter Währungshüter nicht feuern - obwohl die Regierung und der Bundesrat die Mitglieder vorschlägt und der Bundespräsident sie ernennt.

Sarrazin präsentierte am Montag in Berlin sein seit Tagen heftig umstrittenes Buch. Der 65-Jährige wirft in dem Buch "Deutschland schafft sich ab" vor allem Einwanderern muslimischen Glaubens eine fehlende Bereitschaft zur Integration vor, fordert eine strengere Auswahl sowie höhere Anforderungen an hier lebende Menschen mit ausländischen Wurzeln.

Unerstützung erhielt Sarrazin von der türkischstämmigen Sozialwissenschaftlerin Neclá Kelek. "Hier hat ein verantwortungsvoller Bürger bittere Wahrheiten drastisch ausgesprochen und sich um Deutschland einen Kopf gemacht", sagte Kelek am Montag in Berlin bei der Vorstellung von Sarrazins neuem Buch. "Um diesen Kopf soll Thilo Sarrazin offensichtlich jetzt kürzer gemacht werden." Sie plädierte für eine inhaltliche statt moralische Debatte.

Merkel findet Äußerungen inakzeptabel

Ansonsten hagelte es Kritik. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte der ARD, sie sei sich "ganz sicher, dass man auch in der Bundesbank darüber sprechen wird". Die Bundesbank sei für das ganze Land ein Aushängeschild - "nach innen wichtig, aber auch nach außen wichtig". Sarrazins Äußerungen bezeichnete Merkel als inakzeptabel. "Sie sind auch ausgrenzend, sie machen ganze Gruppen in der Gesellschaft verächtlich."

Sarrazin wies Merkels Kritik indirekt zurück. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass Frau Merkel das Zeitbudget hat, dass sie schon meine 464 Seiten gelesen hat. Und schon daraus verbietet sich jeder Kommentar einzelner Wertungen", sagte Sarrazin am Montag bei der Vorstellung seines umstrittenen Buches in Berlin.

"Ich sehe mich durch die Meinungsfreiheit in Deutschland gedeckt, da bin ich völlig zuversichtlich", sagte Sarrazin. "Und ich weiß positiv, dass ich in meiner Eigenschaft als Bundesbankvorstand keine dienstliche Obliegenheiten verletzt habe. Insofern sehe ich auch ziemlich gelassen in dieser Frage in die Zukunft."

Er fügte hinzu: "Natürlich kenne ich meinen Dienstvertrag und ein Mitarbeiter der Deutschen Bundesbank, und auch ein Bundesbankvorstand, hat wie jeder andere Bürger das Recht, auf Gebieten, die nicht seinem dienstlichen Obliegenheitenkreis gehören, sich frei zu äußern."

Der Vorsitzende der Gewerkschaft Verdi, Frank Bsirske sagte der "Berliner Zeitung" (Montag), Sarrazin sei zu einer unerträglichen Belastung für eine öffentliche Institution wie die Bundesbank und damit für das Ansehen der Bundesrepublik geworden.

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), sagte im ARD-Morgenmagazin: "Die Bundesbank ist jetzt am Zug." Der frühere Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Michel Friedman, sagte dem "Hamburger Abendblatt" (Montag), die Bundesbank mache sich angreifbar, solange Sarrazin in ihrer Mitte sei.

Sarrazin, der früher Berliner SPD-Finanzsenator war, sprach am Wochenende zudem in einem Interview von "Welt am Sonntag" und "Berliner Morgenpost" über die kulturelle Identität, die seiner Ansicht nach eine Integration von Muslimen in Deutschland verhindert. Auf die Frage, ob es "auch eine genetische Identität" gibt, antwortete er: "Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen, Basken haben bestimmte Gene, die sie von anderen unterscheiden."

Sarrazin von Kritik betroffen

Der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Montag) sagte Sarrazin, ethnische Gründe kämen für das von ihm konstatierte Anderssein nicht in Frage. "Die Unterstellung, ich hätte irgendwo in diesem Buch behauptet, muslimische Migranten seien aus genetischen Gründen anders, die hat mich schon betroffen gemacht. Es ist eine böswillige Interpretation." Sarrazin räumte aber "einen lässlichen didaktischen Mangel" ein: "Ich hätte vielleicht noch stärkere Trennlinien zwischen unterschiedlichen Argumentationssträngen ziehen sollen." Seine These, Integrationsprobleme lägen an Kultur und Religion, stufte Sarrazin nun als Vermutung ein.

Das SPD-Präsidium hat am Montag beschlossen, ein neues Parteiordnungsverfahren gegen Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin mit dem Ziel des SPD-Ausschlusses einzuleiten. Dies erfuhr die Nachrichtenagentur dpa am Montag aus Parteikreisen. Darüber muss noch der Parteivorstand entscheiden. Im März war ein vom Berliner Landesverband angestrengtes Ausschlussverfahren gescheitert.

Sarrazin will trotz allem an seiner SPD-Mitgliedschaft festhalten. "Ich habe vor, das SPD-Parteibuch mit ins Grab zu nehmen", sagte er der FAZ. Spekulationen, er könnte eine neue Partei gründen, wies er zurück: "Etwas Neues habe ich nicht mehr vor." Parteigründungen endeten "fast immer so, dass sich dort sehr schnell die Spinner aller Coleur versammeln".

dpa