Migration in Mexiko: Todesfahrt der Rechtlosen
Nicht nur der illegale Weg über die Grenze von Mexiko in die USA ist gefährlich und teuer. Auch in Mexiko selbst sind Migranten aus Mittelamerika zunehmend Opfer von Kriminellen. Ihnen droht Entführung, Erpressung oder sogar die Ermordung.
27.08.2010
Von Franz Smets

Migranten aus Honduras, Nicaragua, El Salvador und Guatemala, dem Armenhaus der Region müssen Mexiko durchqueren, wenn sie das Land ihrer Träume, die USA, erreichen wollen. Doch dieser Weg ist nicht nur lang und steinig. Viele Male mündet er in einem tödlichen Alptraum.

Die meist jungen Männer und Frauen, die aus Zentralamerika im Süden an die mexikanische Grenze gelangen, haben den weitesten und beschwerlichsten Weg noch vor sich. Die Grenze in Tapachula (Chiapas) oder in Chetumal (Quintana Roo) zu überqueren, ist das geringste Problem. Denn nun beginnt ein oft grausamer Leidensweg. Jugendbanden, oft im Dienste der Kartelle, überfallen sie, rauben sie aus, vergewaltigen Frauen, und schlimmstenfalls bringen sie sie um.

Drogenkartelle erpressen Geld von den Rechtlosen

Die Hilfsorganisation Amnesty International schrieb im April dieses Jahres in einem Bericht über die Lage in Mexiko, die organisierte Kriminalität habe ihre Tätigkeit auf die Migranten ausgedehnt. "Durch ihre Verwundbarkeit werden sie (die Migranten) zum Ziel von Entführung, Menschenhandel und Erpressung."

Viele machen mit, bei diesen unsichtbaren Verbrechen. Polizisten, wenn sie nicht gar unmittelbar verwickelt sind, schauen weg und kassieren ihren Anteil an der leichten Beute. Das Geschäft mit den Migranten bestand bis vor einiger Zeit vor allem darin, sie gegen viele Dollar über die Nordgrenze in die Vereinigten Staaten zu bringen.

Nach den jüngsten Ereignissen, unter anderem der Ermordung von 72 Migranten auf einer Farm in Tamaulipas, ist klar, dass sich das geändert hat. Die Drogenkartelle versuchen zunehmend, die Rechtlosen in ihre Dienste zu stellen: Nach Medienberichten wurden in sechs Monaten des Jahres 2009 fast 10.000 Flüchtlinge aus Zentralamerika in Mexiko entführt. Ihre Familien werden zur Zahlung großer Geldsummen erpresst, wer nicht zahlen kann, wird angeworben, damit er mit seiner "Arbeit" zahlen kann. Und wer dazu nicht bereit ist, wird getötet.

Wer kein Lösegeld hat, muss sterben

"Mit irgendetwas wirst du uns bezahlen, Blondine", drohten die Entführer der Salvadorianerin Marisolina. Die junge Frau, eine geschützte Zeugin der Generalstaatsanwaltschaft, hatte keine Eltern in den USA, die 3.000 Dollar für die Freilassung hätten aufbringen können, wie am Donnerstag in der Zeitung "El Universal" zu lesen war, die über den Leidensweg von Marisolina berichtete. Ihr Peiniger, ein Mann namens "El Perro" war in der Verbrecherbande "Los Zetas" für Entführungen und Erpressungen der Migranten zuständig.

"El Perro" habe ihr eines Tages im betrunkenen Zustand erzählt, es sei seine Aufgabe, diejenigen Migranten zu töten, die das Lösegeld nicht aufbringen könnten. "Er sagte: Zuerst zerteile ich sie in Stücke, damit sie in die Kisten passen und dann stecke ich sie an, damit nichts mehr von diesen Deppen übrig bleibt." Bewacht wurden die gefangenen Migranten von sogenannten Soldaten der Organisation.

Nach Schätzungen werden die Hälfte aller Migranten entführt

Darüber stünden die "Alfa". Diese hätten mit der Polizei und mit Funktionären der Migrationsbehörden gesprochen, berichtete Marisolina, die das Glück hatte, eines Tages zu entkommen. Von denen seien die Informationen über herannahende Migranten gekommen.

Nach einem Bericht der Tageszeitung "Reforma" haben die "Los Zetas" mit den Entführungen eine Goldmine gefunden. Nach offiziellen Angaben durchqueren Jahr für Jahr weit über 20.000 Migranten aus Mittel- und Südamerika das Land in Richtung Norden. Die Hälfte werde schätzungsweise entführt. Die Hauptroute beginnt im südlichen Bundesstaat Chiapas und führt über Oaxaca und Veracruz nach Tamaulipas, das im Norden an die Grenze mit den USA reicht. Die von den "Los Zetas" verlangten Lösegeldsummen betragen nach Angaben des Militärs zwischen umgerechnet 1.500 Euro und bis zu 30.000 Euro.

dpa