"Mir graut vor total verhüllten Frauen"
Streit um Kopftuch und Burka, Zweifel an der Existenz des Propheten Mohammed, Sarrazin-Debatte, geplante Koranverbrennung in den USA: Wo es um den Islam mit allen seinen politischen und religiösen Aspekten geht, sind stets große Emotionen im Spiel. Oft bestimmen Vorurteile die Diskussion, nicht sachliche Argumente. Dazu kommt, dass Christen und Muslime noch immer viel zu wenig voneinander wissen. Unsere türkischstämmige Autorin schildert in ihrem betont persönlich formulierten Beitrag, wie sie sich als Muslimin in Deutschland fühlt, welchen Eindruck die gegenwärtigen Auseinandersetzungen über den Islam auf sie machen, wie schnell sie als Journalistin in Zwickmühlen gerät - und warum sie selbst kein Kopftuch trägt.
27.08.2010
Von Canan Topçu

Früher, genauer gesagt vor dem 11. September 2001, war es anders. Seitdem aber vergeht kaum ein Tag, an dem sich deutsche Medien den Themen Islam und Islamfeindlichkeit, Muslime im Allgemeinen und Muslima im Besonderen widmen. Analysen, Bestandsaufnahmen, Überblicke, Hintergründe, Reportagen, Interviews – in allen möglichen Textformen sind in diesem Land seit dem Datum, das für die Wahrnehmung von Muslimen einen Wendepunkt bedeutet, in unzähliger Zahl veröffentlicht worden.

Als Journalistin mit türkischen Wurzeln, als Kulturmuslima, die für deutsche Medien arbeitet, bekomme auch ich häufig die Möglichkeit, mich von Berufs wegen mit Muslimen und mit der Debatte über den Islam in Deutschland zu befassen, auch in Form persönlicher Betrachtungen. Dann stellt sich mir jedes Mal die Frage: Wie soll ich mich dem Thema nähern? Ich bin ja keine Verbandsvertreterin, keine Politikerin, keine Islamwissenschaftlerin, keine Theologin und auch keine praktizierende Muslima.

Soll ich mich – wie so oft als Journalistin – auf aktuelle oder zur Not auf nicht mehr ganz so neue Untersuchungen zu Muslimen unter unterschiedlichen Fragestellungen beziehen? Meine Aussagen mit Prozentzahlen belegen und mit Sätzen untermauern, die namhafte Politiker oder andere Persönlichkeiten zum Thema Muslime und Islam in Deutschland von sich gegeben hatten?

Wolfgang Schäuble: Muslime gehören zu Deutschland

In einem Essay zum Thema Islam und Islamfeindlichkeit sollte auf jeden Fall der Satz von Wolfgang Schäuble, dem früheren Bundesinnenminister und Initiator der Deutschen Islamkonferenz, auftauchen: dass die Muslime zu Deutschland gehören. Zu Wort kommen müssen auch Vertreter der muslimischen Verbände, die für das schlechte Islambild in Deutschland und weltweit immer wieder die negativen Medienberichte verantwortlich machen. (Oft weiß ich schon vor einem Anruf bei einem Verbandsvertreter, was ich zu hören bekommen werde ...)

Um den Sachverhalt, dem sich der Text widmet, Authentizität zu verleihen, mach es sich auch gut, "muslimische Stimmen" einzubauen - also einen O-Ton aus der Basis, von jemandem etwa, der sich über das schlechte Image seines Glaubens beklagt und darunter leidet.

Für mich ist die persönliche Einlassung kein Leichtes, habe ich festgestellt, als ich unlängst zusagte, ein Essay zu schreiben über das Islambild in Deutschland und die Frage, wie Islamfeindlichkeit überwunden werden kann. Ich hatte große Widerstände, und mich beschäftigte mehr meine innere Abwehr als das Thema an sich. Schon früh am Morgen setzte ich mich an den Computer und stellte fest, dass ich Schreibhemmungen habe. Denn ich fing an, hier und dort nachzulesen, später Nachrichten auf Deutschlandradio zu hören ...

Der Grund für die Schreibblockade

Schließlich beschloss ich, einen Spaziergang zu machen und frische Luft zu tanken. Wieder zu Hause, machte ich einen Milchkaffee, kümmerte mich um sämtliche Pflanzen in meinem Garten – und es sind nicht wenige –, danach bügelte ich und räumte auf. Bei all diesen Tätigkeiten versuchte ich, meine Gedanken zu sortieren und dem Grund meiner Schreibblockade auf den Grund zu gehen.

Warum gehe ich so ins Detail und nenne nicht einfach den Grund? Das ist keine Masche und kein journalistischer Trick. Es ist eigentlich nicht meine Art. Das Problem mit den Schreibblockaden mache ich sonst mit mir alleine aus und helfe mir mit Schokolade. Habe ich im beschriebenen Fall auch gemacht. Und just in dem Moment, in dem ich in den Riegel mit 80-prozentigem Kakaogehalt biss, macht es Klick. Plötzlich wusste ich, warum mir das Schreiben schwer fällt.

Es hat etwas damit zutun, dass ich eher pessimistisch eingestellt bin und keine wirklich neuen Ideen einbringen kann, die zur Überwindung von Islamfeindlichkeit beitragen könnten. Außerdem glaube ich, dass ich mit meinen veröffentlichten Ansichten eher Freunde von der "falschen" Seite gewinne, als dass ich von der richtigen Seite so verstanden werde, wie ich verstanden werden möchte.

Das Recht, sich zu kleiden, wie man will

Soll ich allen Ernstes darüber schreiben, dass ich eigentlich Probleme mit Kopftuchträgerinnen habe und dass ich den Widerstand gegen dieses Stück Stoff verstehen kann? Ich meine, dass auch gerade die hartnäckig geführte Debatte um das Kopftuchtragen nicht gerade zur Verständigung und Verständnis führt. Und schon gar nicht trägt es zu einem positiven Bild von Muslimen und Islam bei. "Nicht ohne mein Kopftuch" sagen die einen, "Nicht mit Kopftuch" rufen die anderen. Und dann wird geklagt und auf das Recht gepocht, sich so zu kleiden, wie man es will. Dann wird eine Instanz nach der anderen angerufen und das Grundgesetz auf den Prüfstand gestellt und auf die darin verbürgte Religionsfreiheit hingewiesen.

Wenn ich es mir erlaube, meinem Bauchgefühl eine Stimme zu verleihen, höre ich: "Ich habe in der Türkei muslimische Frauen kennengelernt, tief religiöse Frauen, deren Spiritualität sich in den Gesichtsausdrücken widerspiegelt, Frauen, die Kopftücher tragen, die aber darauf verzichten, wenn der gesellschaftliche Rahmen es erfordert; ich erinnere mich an Hochzeiten und andere Feiern, auf denen Frauen, die sonst das Haar verhüllten, ohne Kopftuch erschienen."

Mich macht die Diskussion schwindelig

Und wenn ich wieder vernünftig bin und meinem gesunden Menschenverstand folge, dann stelle ich einfach nur fest, dass mich die Diskussion um das Kopftuch total schwindelig macht; ich weiß nicht, wem ich Recht geben soll, wem ich glauben kann. Ich habe viele Expertisen zu der entsprechenden Sure im Koran gelesen, etliche Stellungnahmen zur Kenntnis genommen. Die einen meinen, dass der Koran die Verhüllung vorschreibt, die anderen nicht. Wie soll ich urteilen, was richtig und was falsch ist, was Recht und was Unrecht ist? Als liberaler Mensch darf man keine Bedenken gegen das Kopftuch haben, muss man es als Bestandteil der religiösen Praxis sehen und sich in Toleranz üben.

Nun ist es aber so, dass die religiöse Praxis von Musliminnen nicht gerade zu der angestrebter Toleranz beiträgt. Schon beim Formulieren dieser Sätze höre ich Einwände von Sprechern islamischer Verbände. "Was ist das für ein Religiössein?" frage ich mich, wenn ich Frauen begegne, die nicht auf das Kopftuch verzichten wollen, aber hautenge Hosen und knallrote Satinkorsetts auf schwarzen T-Shirts tragen und davon sprechen, dass sie ihr Haar verhüllen, weil es im Koran so stehe.

Ganz ehrlich, mich irritieren all die Frauen, die sich als Muslime zu erkennen geben, die aber das Gebot, sexuell nicht aufreizend gekleidet zu sein, lediglich auf das Verstecken ihres Haars beschränken. Ich stelle fest, dass mir dieses Pochen auf das Kopftuch auf die Nerven geht und ich an die Musliminnen denke, die davon sprechen, dass sie auf das Kopftuch verzichten können, wenn es die Situation erfordert, dass "ihr Gott" es ihnen verzeihe und es nicht als ihre Sünde verbucht, wenn sie ihr Haar offen tragen müssen. Diese muslimischen Frauen sind mir die sympathischeren.

Ungeheuerlich, dass Männer mir nicht die Hand geben

Und darf ich schreiben, dass ich es für eine Ungeheuerlichkeit halte, wenn mir Männer die Hand nicht geben, weil es ihnen ihre Religion verbietet? Was ist das denn für eine Religion? Einerseits wird einem immerzu erklärt, dass der Islam für Frieden und Nächstenliebe stehe, andererseits für Trennlinien zwischen den Geschlechtern sorgt, die es mir zu akzeptieren schwerfällt. Und was soll ich davon halten, wenn arbeitslosen jungen Muslimen während des Ramadan einen Kurzzeitjob angeboten wird, und die Jugendlichen dies mit der Erklärung ablehnen, dass sie fasten und sich nicht in der Lage zur körperlichen Anstrengung fühlen? Was ist denn in Zeiten, in denen Gelegenheiten zum Geldverdienen knapp werden, wichtiger?

Lasst mich doch alle in Ruhe, denke ich immer dann, wenn ich in Glaubensfragen an meine Grenzen stoße. Vielleicht sollte ich darüber schreiben, dass ich manchmal meinen Beruf an den Nagel hängen möchte und mich nach einem Landleben sehne, weil ich mich überfordert fühle als Journalistin, die von Berufs wegen objektiv zu sein hat und sein möchte, und die sich darum auch wirklich bemüht, ihren Job gut zu machen, aber es selten allen Recht machen kann ...

Ich darf mich nicht angreifbar machen

Immerzu muss ich aufpassen, nicht instrumentalisiert zu werden und mich nicht angreifbar zu machen. Schreibe ich Positives über Muslime, gibt es Reaktionen von den Islamkritikern, die mir vorwerfen, dass ich es an der nötigen Distanz fehlen lasse; kritisiere ich Muslime und muslimische Verbände, gibt es Proteste von dieser Seite. Mit welchen Konsequenzen habe ich zu rechnen, wenn ich jetzt unverblümt feststelle, dass es mir graut, wenn mir in Frankfurt – wie immer öfter der Fall - eine total verhüllte Frau entgegen kommt? Darf ich offen aussprechen, dass es mir unheimlich zumute wird und dass ich denke: "Oh, Gott, hoffentlich vermehren sie sich nicht"?

Und was passiert, wenn ich von dem Gefühl der Aggression schreibe, die hochkommt beim Anblick von Frauen mit verschleiertem Gesicht? Dass ich mich aufrege darüber, wenn sie sich so auf die Straße begeben und den Weg nur finden, weil das Stück Stoff einen schmalen Schlitz hat? Ob sich diese Frau freiwillig verschleiert oder dazu gezwungen wird - vom Ehemann, Vater, Sohn, Bruder oder welchem männlichen Familienmitglied auch immer? Diese Frage geht mir natürlich auch durch den Kopf, und ich stelle fest, dass die Vorstellung, die Frau könnte sich freiwillig verhüllt haben, ebenso meinen Blutdruck steigen lässt wie die, dass es männlicher Dominanz geschuldet ist.

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Ich bringe Verschleierung einfach nicht mit meiner Vorstellung vom Menschsein in Einklang. Und ich will das nirgendwo auf dem Globus und schon gar nicht hier in meinem Land, denn Deutschland ist auch mein Land. Und darf ich schreiben, dass ich die Forderung nach muslimischen Gebetsräumen in Schulen und Universitäten nicht nachvollziehen kann? Dass ich den Verdacht und Gedanken nicht loswerde, dass es nicht wirklich um den Glauben geht, sondern darum, Recht zu bekommen und Macht und darum, ob und welche Gruppen ihre Interessen durchsetzen können ...

Was kommt dabei raus, wenn ich mal all das Political-Correct-Sein-Müssen und all das bedächtige Abwägen beiseite schiebe? Betrachte ich die Diskussionen um Muslime in dieser Gesellschaft aus der Perspektive eines Menschen, der mit dem jeweiligen Sachverhalt nicht vertraut ist, dann verstehe ich all die, die im Zusammenhang mit Islam und Moslems ein ungutes Gefühl haben. Manchmal unterscheide ich mich nicht von ihnen, vor allem dann nicht, wenn ich mir Nachrichten und Meldungen aus islamischen Ländern vergegenwärtige. Und noch während ich das schreibe, höre ich wieder einmal eine Stimme aus dem Hintergrund, die mit Protest mich darüber aufklärt, dass das doch alles nichts mit dem wirklichen Islam zu tun habe und über diese Religion immer nur Schlechtes berichtet werde.

Ich will mein Metier nicht in Schutz nehmen, zweifelsohne gibt es viele Berichte, die undifferenziert und platt sind, die schlecht recherchiert und alles andere als vorurteilsfrei sind. Trotzdem will ich die Frage stellen: Vereinfacht es nicht die Sachlage, wenn für die Probleme mit Muslimen und das negative Islambild die Medien verantwortlich gemacht werden? Würde die Situation eine bessere werden, wenn Zeitungen, Radio und Fernsehen die Themen rund um Islam und Muslime aussparten? Ob das Zusammenleben wohl besser funktionieren und die Einstellung zu Muslimen sich zum besseren wenden würde, wenn Redaktionen allein "good news" auswählten. Ich glaube es nicht so recht.

Die Vehemenz zeigt: Es geht auch um Macht

Der Islam ist eine friedfertige Religion, sie zeichnet sich durch Werte wie Nächstenliebe und Güte aus – mit Sätzen wie diesen wird man über den "wahren Kern" dieser Religion aufgeklärt. Und das zweifele ich in keiner Weise an. Und trotzdem werde ich den Verdacht nicht los, dass es in diesem Land nicht darum geht, dass Muslime ungestört und unbehelligt ihrem Glauben nachgehen können. Die Vehemenz, mit der die Debatte geführt wird, erweckt den Eindruck, dass es auch um Macht geht. Mit Gedanken wie diesen katapultiere ich mich doch auf die Seite derer, die dem Islam gegenüber feindlich eingestellt sind - dabei bin ich dieser Religion, die mich geprägt hat, weil ich von gläubigen Eltern erzogen worden bin, wohlgesinnt.

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Und während ich diesen Gedanken formuliere, schießt ein anderer durch mein Kopf: Bei all den Diskussionen um Muslime und Islam kommt meiner Ansicht nach gerade das zu kurz, worum es doch gehen muss, nämlich um Spiritualität. Wenn ich Koranrezitationen höre, komme ich zur Ruhe; ich spüre in diesen Momenten die Allmacht Gottes. Wen aber interessiert es, dass ich in diesem Land viel zu wenig spüre von der Spiritualität der Muslime, gerade bei denen, die eisern um die Rechte der Muslime kämpfen? Wer will schon wissen, dass ich mir wünsche, dass dieser Kampf um Macht und Recht endlich ein Ende haben möge und dass sich die Menschen mit und in ihrem Glauben begegnen mögen; dass sich das Bild über Muslime ändern möge, dass sie ihren Glauben praktizieren mögen, ohne dass es als Gefahr angesehen werden?

Ich denke, dass die Vertreter der Mehrheitsgesellschaft noch nicht so weit sind, den Islam als Bestandteil dieser Gesellschaft zu sehen. Auch wenn Bundespolitiker, Kirchenvertreter und weiß der Himmel wer noch ausdrücklich darauf hinweisen. Gewiss ist es ein wichtiges Signal, wenn dies von Autoritätspersonen verkündet wird; bis diese Botschaft in den Köpfen der Menschen ankommt, bis dies nicht nur rational, sondern sich emotional verfestigt, braucht es noch Zeit.

Abschied von den Vorurteilen

Ich hoffe, dass ich Menschen begegne, die mir dabei helfen, mich von meinen Vorurteilen zu verabschieden. So wie ich auch anderen wünsche, dass sie Menschen begegnen mögen, die ihnen dabei helfen, sich von verkrusteten Vorstellungen über den Islam zu verabschieden. Unabdingbar halte ich aber auch, dass sich Muslime ernsthaft Gedanken machen darüber, ob jedes Wort im Koran à lettre genommen werden muss und ob es nicht an der Zeit für einen zeitgemäßen Glauben ist? Müsste nicht eine innerislamische Debatte in Gang gebracht werden über die Frage, ob die Ganzkörperverhüllung von Frauen wirklich mit Islam und Menschenwürde und Menschenrecht vereinbar ist?

Es sind Fragen wie diese, die es mir schwer machen, darüber zu schreiben, wie sich die Einstellung über Muslime in diesem Land ändern könnte. Ich bin überzeugt, dass das Sich-Kennenlernen der wichtigste Schritt dazu ist. Unverzichtbar ist in diesem Zusammenhang das Wissen um die eigene Religion und die des anderen. Es bedarf der Wissensvermittlung und der Aufklärung, damit Menschen, die sich als Muslime bezeichnen, nichts als dummes Zeug über den Islam von sich geben und auf diese Weise zum schlechten Image dieser Religion beitragen.

Mehr als di sen einen Ratschlag und Vorschlag habe ich eigentlich in der Debatte um Islamfeindlichkeit und darüber, wie diese überwinden werden kann, nicht einzubringen.


Canan Topçu ist Redakteurin bei der "Frankfurter Rundschau". Sie lebt in Hanau und arbeitet auch als freiberufliche Journalistin.