Die Jazz-Metropole New Orleans im Mississippi Delta, wo Nordamerikas längster Fluss in den Golf von Mexiko mündet, steht Metertief unter Wasser, Menschen retten sich auf Hausdächer. Andere stehen erschöpft mit ein paar Habseligkeiten in Plastiktüten vor dem Football-Stadion "Louisiana Superdome", bis zuletzt auch dieser Zufluchtsort evakuiert wird.
Es sind Bilder von Verzweiflung und Chaos. Bilder von der Zeit nach dem 29. August 2005, als der Wirbelsturm "Katrina" New Orleans und umliegende Regionen in Louisiana, Alabama und Mississippi verwüstete. Rund 1.800 Menschen kamen damals ums Leben. 80 Prozent von New Orleans wurden überflutet, rund drei Viertel der Wohnungen waren beschädigt oder zerstört.
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Im Sommer 2010 kommen die Touristen wieder. Die Musik spielt in den Kneipen des legendären Altstadtviertels French Quarter. Trotz gewaltiger Wiederaufbauarbeit sind aber noch tiefe Spuren der Flut zu sehen: Viele tausend leere Grundstücke, wo früher Häuser standen. Zehntausende Häuser, die unbewohnt sind und verfallen. Ihre Eigentümer kehrten nach der Katastrophe nie zurück oder können sich den Wiederaufbau nicht leisten.
Nach Angaben des Wirtschaftsforschungsinstituts "Brookings Institution" leben heute etwa 350.000 Menschen in New Orleans, vor Katrina waren es mehr als 450.000. Die Nicht-Heimkehrer sind in den ganzen USA verteilt, viele leben in Houston, Dallas und Atlanta. Das damals zu zwei Dritteln afro-amerikanische New Orleans war schon zur Zeit von Katrina eine der ärmsten Städte der USA. Die Armutsrate von 28 Prozent war doppelt so hoch wie der US-amerikanische Durchschnitt. Das "neue" New Orleans ist nach Darstellung des örtlichen Bürgerrechtsaktivisten und Juraprofessor Bill Quigley ein anderes als das alte.
Viele Sozialwohnungen abgerissen
Heute sind 59 Prozent der Stadtbewohner Afro-Amerikaner. Die Armutsrate liegt bei 23 Prozent. Aber nicht, weil es den ganz Armen jetzt besser geht. Viele sind nicht aus der Diaspora zurückgekommen. Und es ist auch nicht mehr so viel Platz für Bedürftige: Im Zuge des Wiederaufbaus wurden die meisten Sozialwohnungen abgerissen.
Nach Angaben von Bürgermeister Mitch Landrieu dürfte es noch mindestens fünf Jahre dauern, bis New Orleans ganz wiederhergestellt ist. Die Arbeiten zum Aufbessern der rund 500 Kilometer langen Deiche und Kanäle sollen im Jahr 2011 abgeschlossen sein, verspricht das zuständige US Army Corps of Engineers. Kostenpunkt: 15 Milliarden US-Dollar.
Bei einer Umfrage des Politikforschungsinstituts "Kaiser Family Foundation" sagten 70 Prozent der Stadtbewohner, ihrer Ansicht nach bewege sich der Wiederaufbau "in die richtige Richtung." Allerdings sagten auch mehr als ein Drittel, das Leben in New Orleans sei heute "schlechter" als vor Katrina, 40 Prozent erklärten, ihre Lebenssituation habe sich nicht verändert.
Emotionale und psychische Wunden
Viele Wunden und Narben sieht man nicht auf den ersten Blick. Filmemacher Spike Lee hat in seinem zum Jahrestag vorgestellten vierstündigen Dokumentarfilm über den Wiederaufbau ausführlich die emotionalen und psychischen Leiden vieler von Hurrikan und Flucht traumatisierten Menschen dargestellt, für die viel zu wenig ärztlicher Beistand zur Verfügung stehe.
Eine Studie der New Yorker Columbia Universität zeigte, dass 60 Prozent der Kinder, die nach dem Sturm fliehen und zeitweilign in Notunterkünften leben mussten, noch heute an Depression und emotionalen und Verhaltensstörungen leiden.
US-Präsident Barack Obama begeht den Jahrestag in New Orleans. Die Ortszeitung "New Orleans Times-Picayune" hat den Besuch als Zeichen gewürdigt, dass Regierung und Nation New Orleans nicht vergessen haben. Unmittelbar nach der Katrina-Katastrophe war in den USA diskutiert worden, ob man die Unwetter gefährdete Stadt, die zur Hälfte unter dem Meeresspiegel liegt, überhaupt wieder aufbauen soll.