Merkel will Atomwirtschaft über Steuer hinaus belasten
Nun macht die Kanzlerin ihrerseits Druck auf die Atomwirtschaft. Bei einem Besuch im AKW Lingen stimmte sie die Manager auf zusätzliche Belastungen ein. Konzernchefs von RWE und Eon hörten gut zu.
26.08.2010
Von Kristina Dunz und Marc-Oliver von Riegen

Bundeskanzlerin Angela Merkel will die Atomwirtschaft über die geplante Brennelementesteuer hinaus zur Kasse bitten. Diese Beiträge sollten in die erneuerbaren Energien investiert werden, sagte die CDU-Chefin am Donnerstag beim Besuch des Atomkraftwerks Lingen in Niedersachsen. Zugleich ließ sie keinen Zweifel an der Verlängerung der Atomlaufzeiten. Aber: "Eine Jahreszahl werde ich heute nicht nennen."

Rund 200 Atomkraftgegner demonstrierten in strömendem Regen vor dem AKW. "Atomkraft ist keine Brückentechnologie für die erneuerbaren Energien, Atomkraft ist eine Blockadetechnologie", hieß es. Die SPD kritisierte Merkels sogenannte Energie-Reise als Showveranstaltung.

Energiewirtschaft soll Beitrag zu erneuerbaren Energien leisten

Merkel sagte auf die Frage, ob sie für eine zusätzliche Abgabe über die neue Steuer hinaus sei, die Regierung wolle auf der einen Seite die Haushaltskonsolidierung erreichen und habe da bestimmte Abgaben im Auge. "Ich glaube, dass wir darüber hinaus - aber hier verwende ich ausdrücklich nicht das Wort Abgabe - natürlich darüber sprechen müssen, in welcher Weise auch die Energiewirtschaft einen Beitrag für die erneuerbaren Energien leisten kann."

Der Konflikt auch innerhalb der Regierung über die Belastung der Atomindustrie über die Brennelementesteuer hinaus hält derweil an. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) zeigte sich skeptisch gegenüber einer Zusatzabgabe. "Wir sollten den zweiten Schritt nicht vor dem ersten machen", sagte er der "Bild"-Zeitung.

Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) hält eine spezielle Abgabe für sinnvoll, die in den Ausbau der Ökoenergien fließen soll. In der ARD forderte er am Mittwochabend zudem, dass die Brennelementesteuer auch für die Sanierung des Atommülllagers Asse in Niedersachsen verwendet wird. Das Kabinett berät am 1. September über die geplante Brennelementesteuer in Höhe von 2,3 Milliarden Euro pro Jahr für die Atomwirtschaft. Der endgültige Beschluss über die Steuer fällt aber erst Ende September.

Atomwirtschaft wehrt sich gegen Steuerpläne

Auf ihrem Rundgang durch das vom Energiekonzern RWE betriebene emsländische Kernkraftwerk wurde die Kanzlerin von RWE-Chef Jürgen Großmann und Eon-Chef Johannes Teyssen begleitet. Merkel sagte: "Wir haben ein kurzes Gespräch geführt darüber, dass wir weiter sprechen werden. Wir haben hier natürlich keine Verhandlungen geführt." Der Eon-Chef sagte: "Wir hatten wenige Minuten mit ihr und haben sie auf ihrer Lernreise begleitet." Lingen sei kein Verhandlungsort.

Beide Stromkonzernchefs gehören zu den Unterzeichnern einer Anzeigenkampagne gegen die Energiepolitik der Bundesregierung. Die Atomwirtschaft wehrt sich gegen die geplante Brennelementesteuer, deren Entwicklung für sie etwa bei einem Regierungswechsel schwer absehbar ist.

Großmann sagte zu der Anzeigenkampagne, dies sei bei dem Rundgang kein Thema mit der Kanzlerin gewesen. Nach seinen Worten habe die Atomwirtschaft keinen Druck auf die Regierung mit den Anzeige ausgeübt, sondern eine Diskussion anstoßen wollen. Im AKW Lingen sei "in guter Atmosphäre der Gang der Dinge besprochen worden". Großmann betonte: "Es muss eine Einigung geben. Das sagen alle." Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister (CDU) sagte: "Die Brennelementesteuer kommt."

Unabhängige Gutachter werden von den Konzernen bezahlt

In ihren derzeit erarbeiteten Modellen für längere Laufzeiten nimmt die Regierung voraussichtlich niedrigere Ziele für den Anteil an Ökostrom an als bisher geplant. Das geht nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur aus einem Zwischenbericht der Gutachter für die Energieszenarien hervor. Während der Nationale Aktionsplan für erneuerbare Energie einen Ökostrom-Anteil von 38,6 Prozent für 2020 anpeilt, geht die Regierung danach in zwei Modellen von rund 35 Prozent aus und in einem Vergleichsmodell ohne längere Laufzeiten von rund 34 Prozent.

Die Gutachten des Energiewissenschaftlichen Instituts der Universität Köln und der Prognos AG sollen Röttgen und Brüderle an diesem Freitag vorgelegt werden. Das Kölner EWI-Institut erhält von den Stromkonzernen RWE und Eon Millionensummen. Eine Sprecherin des Instituts bestätigte einen entsprechenden Bericht der "Süddeutschen Zeitung", nach dem RWE, Eon und das Land NRW über fünf Jahre je vier Millionen Euro geben. Es handele sich um eine zweckungebundene Grundsatzförderung, die den Konzernen keine Einflussnahme auf Arbeit und Ergebnis des Instituts ermögliche. Das EWI sei unabhängig.

dpa