Jenseits von Terror: Pakistan hat auch ein liberales Gesicht
Wenn es um Pakistan geht, ist meistens von Terror oder - wie jetzt aktuell - von Naturkatastrophen die Rede. Dabei hat das Land bei allen Problemen auch ein ganz anderes Gesicht: ein liberales.
26.08.2010
Von Agnes Tandler

"In unserem Haus hat noch nie jemand gefastet", sagt Farah, als sie ihre Familie vorstellt. Die 30-jährige Pakistanerin arbeitet seit sechs Jahren als Bankmanagerin in Lahore, Pakistans zweitgrößter Stadt. Ihre gute Laune ist ansteckend. Sie ist Muslimin, aber sie trägt kein Kopftuch. Auch das ist Pakistan - Lichtjahre entfernt von dem Bild, das die ausländischen Medien meist von dem südasiatischen Land zeigen.

Die in Kanada aufgewachsene Frau mit den schwarzen Lockenschopf sprüht vor Energie. Auch ihre Familie ist weltoffen und herzlich. Jetzt, im islamischen Fastenmonat Ramadan wird im Haus weiter tagsüber gegessen und getrunken, wie sonst auch. "Religion ist Privatsache", findet Farahs Vater.

Das US-Magazin "Newsweek" hat Pakistan als "gefährlichstes Land der Erde" bezeichnet. Doch neben Krieg, Terror und Naturkatastrophen hat das Land auch eine erstaunlich liberale Tradition: In Karatschi und Lahore laufen Mode-Shows, wie sie genauso gut im Westen stattfinden könnten. Die Theaterszene in Lahore gehört zum Besten, was die gesamte Region zu bieten hat. Pakistanische Künstler stellen weltweit ihre Werke aus, und die Lieder pakistanischer Musiker werden von Kabul bis Colombo gehört.

Es sind zwei Welten in einem Land: Da wollen islamistische Terroristen in Pakistan täglich unschuldige Menschen umbringen und fundamentalistische Mullahs allen Frauen den Ganzkörperschleier aufzwingen. Und zugleich ist Pakistan ein Land, in dem Rechtsanwälte unermüdlich für Demokratie kämpfen und Menschen von Haus zu Haus gehen, um Decken, Mehl und Reis für die Flutopfer zu sammeln.

Britisch geprägte Tradition

Mohsan, ein 31-jähriger Anwalt in Lahore, vertritt die Theatervereinigung der Punjab-Provinz vor Gericht. Die Provinzregierung will Tanz auf der Bühne verbieten. "Aus politischen Gründen", so vermutet Mohsan, um die ultrareligiösen Kräfte im Lande milde zu stimmen. Mohsan hat Glück: Die Richter in Lahore entschieden, dass ein solches Verbot nicht rechtmäßig ist.

Die Juristen und ihre liberale, britisch geprägte Tradition sind von der politischen Bühne in Pakistan nicht wegzudenken. Rechtsanwälte und Richter trotzten monatelang der Militärregierung und später dem demokratisch gewählten Nachfolger, weil sie den abgesetzten Obersten Richter des Landes, Iftikar Chaudury, wieder im Amt sehen wollten.

Der furchtlose Jurist selbst hatte prominente Korruptionsfälle, in die die Regierung verwickelt war, zur Anklage gebracht. Und er hatte auch als einer der wenigen in Pakistan der Regierung auf den Zahn gefühlt, um das Schicksal der hunderten "Vermissten" aufzuklären. Das sind pakistanische Staatsbürger, die ohne jedes Verfahren gefangen und an einem unbekannten Ort inhaftiert wurden, weil sie unter Terrorverdacht geraten waren.

Kampf gegen Musharraf

Chaudury war es auch, der dafür sorgte, dass Pakistan zusammen mit Indien ein "drittes Geschlecht" anerkennt, die "Hijras". Dabei handelt es sich rein anatomisch meistens um Männer, die allerdings die männliche Geschlechtsrolle ablehnen, dafür Frauenkleider tragen und sich schminken. In Pakistan ist eben diese Tradition lange verankert. Chaudury hat dafür gekämpft, dass "Hijras" in einem Passantrag nun das dritte Geschlecht auswählen dürfen. Außerdem wies er Behörden und Institutionen an, die Menschen einzustellen, um einen menschenwürdiges Leben zu ermöglichen.

Nachdem Chaudury vom damaligen Staats- und Militärchef Pervez Musharraf entlassen worden war, zogen in Pakistan Tausende Anwälte und Richter auf die Straße, boykottierten die Gerichte und sorgten zwei Jahre lang für so viel Aufruhr, dass Chaudury schließlich im März 2009 wieder zurück an seinen alten Arbeitsplatz im Obersten Gericht kam.

Und wegen der Beharrlichkeit der Richter musste Präsident Musharraf selbst den Hut nehmen. Das Selbstbewusstsein und die Stellung der Justiz wurde damit weiter gestärkt. Kaum ein muslimisches Land hat eine so zähe Demokratie- und Rechtsstaatsbewegung wie Pakistan.

Zivilgesellschaft als Vorbild

Auch wenn es um Hilfe für die Ärmsten der Armen geht, ist Pakistans Zivilgesellschaft ein Vorbild für viele andere Länder. So will die Edhi-Stiftung den Opfern der Flutkatastrophe mehr als 35,5 Millionen US-Dollar aus privaten Spenden zukommen lassen. Der Gründer von Pakistans größter Hilfsorganisation, Abdul Sattar Edhi (82), hat sein Leben den Armen und Kranken gewidmet.

Der Mann mit dem schlohweißen Bart war als mittelloser Flüchtling aus dem indischen Gujarat in den 50er Jahren nach Pakistan gekommen. Er sammelt für Bedürftige in der ganzen Welt. Für die Erdbebenopfer in Haiti brachte er im Januar 2010 eine halbe Million US-Dollar an Spenden auf.

Edhi bewahrt sich seinen Ruf, grundehrlich und unabhängig zu sein: Mit der Politik will er nichts zu tun haben. Er weigerte sich, in der Kommission der Regierung für die Flutopfer-Hilfe mitzuarbeiten. "Wenn irgendjemand für Menschen in Not arbeiten möchte, dann soll er es direkt tun", war seine Antwort.

epd/fra