Kirche und Diakonie stellen sich ihrer Geschichte
Das Unrecht, das Heimkindern in den 50er- und 60er-Jahren widerfuhr, ist öffentlich anzuerkennen. Dafür wollen sich die Evangelische Kirche von Westfalen (EKvW) und die Lippische Landeskirche gemeinsam einsetzen. „Wir nehmen beschämt wahr, was damals in evangelischen Heimen passiert ist, und bitten dafür um Vergebung“, erklärte der theologische Vizepräsident der EKvW, Albert Henz.
26.08.2010
nrw.evangelisch.de

Das bleibt nicht ohne Folgen: „Wir werden gemeinsam mit allen anderen Verantwortlichen nach Wegen suchen, damit die Opfer der damaligen Heimerziehung Hilfe erfahren“, erklärte Henz am Mittwoch (25.8.) bei einem Treffen ehemaliger Heimkinder, zu dem die Kirchen in Westfalen und Lippe eingeladen hatte. Rund 20 Männer und Frauen, die als Kinder oder Jugendliche in Heimen der Diakonie in Westfalen/Lippe gewesen waren, kamen dazu nach Bielefeld.

Damke: "Kein Nullsummenspiel"

„Auch wenn wir persönlich keine unmittelbare Verantwortung dafür haben, stehen wir doch in der Kontinuität unserer eigenen Geschichte“, unterstrich Henz. Kirche und Diakonie wollten sich „für eine zeitnahe Lösung“ stark machen, um den Opfern der Heimerziehung zu helfen, sagte Oberkirchenrätin Doris Damke und fügte hinzu: „Wir wissen, dass das kein Nullsummenspiel ist.“ Sie versicherte, die Ergebnisse des Runden Tisches „Heimerziehung in den 50er- und 60er-Jahren“ werde die evangelische Kirche in Westfalen und Lippe mittragen. Bis Jahresende wird diese Einrichtung ihre Arbeit abschließen.

Kröger: Institutionen müssen sich einigen

Rainer Kröger, Leiter der Jugendhilfe Schweicheln, der am Runden Tisch mitwirkt, machte deutlich, dass der formalrechtliche Weg im Blick auf erlittenes Unrecht nicht verheißungsvoll sei: „Wir müssen dennoch eine funktionierende Regelung finden.“ Das bedeute: Die gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen, die hier in der „Verantwortungskette“ stünden, müssten sich einigen.

Als Beispiele nannte Kröger außer Kirche und Diakonie die Vormundschaftsgerichte, die Heimaufsicht oder die Jugendämter. Eine Möglichkeit, die der Runde Tisch vorschlagen könnte, ist ein bundesweites Netz von Anlaufstellen, von „Stützpunkten“, die Hilfe beim Umgang mit erlittener Gewalt bieten.

Keine Einrichtung darf Herausgabe der eigenen Akte verweigern

Die Teilnehmenden äußerten auch die Erwartung, dass das Land Nordrhein-Westfalen sich dem Thema Heimerzeihung stellt. Henz sicherte zu, sich anwaltschaftlich dafür einzusetzen. Von der neuen Landesregierung gebe es dafür bereits hoffnungsvolle Signale.

Ein wichtiges Thema war der Zugang zur eigenen Akte aus der Kindheit und Jugend im Heim. Maria Loheide von der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe betonte, dass keine Einrichtung die Herausgabe der Akten verweigern dürfe. Wo dies dennoch geschieht, wird sich die Diakonie mit Nachdruck für die Einsichtsmöglichkeit einsetzen. Unterstrichen wurde auch, wie wichtig eine qualifizierte Begleitung ist, wenn die Betroffenen ihre Heimakte lesen - „für manche ist es ein Schlag ins Gesicht, was da drin steht“, erklärte ein Gesprächsteilnehmer.

Jedem seine Erfahrung lassen

Das über weite Strecken sehr emotionale Gespräch zeigte auch, wie unterschiedlich die Erfahrungen sind und von den Einzelnen bewertet werden. Neben Erlebnissen schlimmster Gewalt und Unmenschlichkeit berichteten einige auch von ermutigender Zuwendung. „Wir müssen unbedingt lernen, jedem seine Erfahrungen zu lassen“, beschwor ein Teilnehmer die Anwesenden.

Diakonie: Zentrale Anlaufstelle

Schon seit einiger Zeit gibt es eine Anlaufstelle der Diakonie für ehemalige Heimkinder von diakonischen Einrichtungen in Rheinland, Westfalen und Lippe. Dort werden auch Trauma-Spezialisten vermittelt.

 

Ansprechpartnerin: Hiltrud Wegehaupt-Schlund, Telefon: 0251 2709-265.