Erst als endlich das Ende der ziemlich schwachen Show gestern abend erreicht war, wies Frank Plasberg selbst auf sein Jubiläum hin: Dass es die 100. "Hart aber fair"-Sendung sei. Was gar nicht so richtig stimmt, es war bloß die 100. im ARD-Programm. Bevor "Hart aber fair" in "Das Erste" übernommen wurde, lief das Format schon seit 2001 im WDR-Fernsehen.
Das Thema gestern war wie gewohnt spektakulär formuliert: "Der Atom-Showdown - wer siegt im Kampf um Energie und Macht?" Wie ebenfalls gewohnt, wurde die klare Frage nicht beantwortet. Dafür konnte man beim Zuschauen gut darüber rasönnieren, ob in den mit Talkshows überversorgten öffentlich-rechtlichen Hauptprogrammen wirklich jede Woche Platz für ganz große Themen wie zum Beispiel "Der Schicksalstag der Kanzlerin", "Scheitert jetzt die Regierung?", "Wer führt Deutschland in der Krise?", "Hurra, wir retten den Euro - und wer rettet dann uns?", "Ist Merkels Murks-Koalition noch zu retten?" (alles jüngere "Hart aber fair"-Ausgaben) besteht. Ziemlich klare Antwort: Nö.
Müde Scherze, verbissene Ansichten
Immerhin konnte Plasberg einen im Fernsehen noch ziemlich unverbrauchten und dennoch telegenen Stargast begrüßen: Bundesumweltminister Norbert Röttgen. Gleich anfangs ließ dessen liebes Lächeln dasjenige des ehemaligen SPD-Politikers Wolfgang Clement als umso bemühter erscheinen. Erfahrene oder gut gecoachte Fernseh-Politiker wissen natürlich, dass Talkshows Gesichtershows sind und insbesondere "Hart aber fair" darüber funktioniert, dass die Kameras die Gäste oft beim Reden und oft beim Zuhören zeigen. Sie haben Mimik und Gestik daher permanent unter Kontrolle.
Ziemlich am Anfang auch, als Renate Künast auf Clements müden Scherz von den Befürwortern erneuerbarer Energien als "Windmacher" mit einem noch müderen reagierte ("Keine Kritik am lieben Gott, der macht nämlich den Wind"), zeigte sich auch, dass die Grünen-Politikerin gestern abend erstaunlich indiosponiert waren.
Ferner zu Gast: Schriftsteller und Ex-Werber Frank Schätzing, der Mimik und Gestik des versonnenen Zukunftsexperten natürlich beherrscht, sowie der Präsident des Deutschen Atomforums. Ralf Güldner schien sich entschlossen zu haben, überhaupt nicht zu lächeln, um umso verbissener seine Ansicht zu verkörpern, dass die Grünen in puncto Atompolitik die Meinungsführerschaft übernommen hätten und deshalb die umstrittene "Ohne Kohle und Atomenergie ist der deutsche Wohlstand in Gefahr"-Anzeigenkampagne der Atomindustrie nötig war.
Röttgen wollte nicht ins Talkshow-Muster
Die Einspielfilmchen auf Knopfdruck, die zu den Alleinstellungsmerkmalen von "Hart aber fair" zählen, sprühten nicht gerade vor Esprit. So wurde eine imaginäre vergleichbare Anzeigenkampagne von Hartz IV-Empfängern ersonnen, die bloß nicht geschaltet werden könnte, weil Hartz IV-Empfänger nicht so viel Geld haben wie Stromkonzerne ausgedacht. Später zeigte ein Filmchen, wie Umweltschützer, die eigentlich für erneuerbare Energie sein müssten, sich auch für Kiebitze engagieren, deren Umwelt von Biomasse-Projekten gefährdet wird.
Am interessantesten war noch die Auseinandersetzung zwischen Plasberg und Röttgen. Von Anfang an hatte der Gastgeber seinen Stargast auf dem Kieker ("Der sagt nichts, der Röttgen"), woraufhin Röttgen mit "Der hat ja auch gerade gesprochen" (über Clement) anzeigte, dass er nicht ins Talkshowmuster des allgemeinen Durcheinanderredens, bei dem sich immer der Lauteste durchsetzt, fallen wollte.
Später nahm Plasberg den Minister in Einzelprüfung mit Fragen wie "Können Sie Kanzler?". Röttgen ließ sich darauf wie auf die vielen Ja- oder Nein- und A-, B- oder C-Fragen nicht ein, sondern sprach immer wieder von der "komplizierten Debatte", Kompromissen und dem Wesen der Demokratie. Plasberg machte es dem Umweltminister verdammt leicht, zu glänzen.
Plasberg brachte die zerfaserte Diskussion nicht zusammen
Zu Röttgens Kampfkandidatur um den Parteivorsitz in NRW hatte die Redaktion eine alberne "Bild"-Zeitungs-Schlagzeile dazu vorbereitet, was passieren könnte, wenn Röttgen verlöre - interessant vielleicht für nordrhein-westfälische CDU-Mitglieder, weniger im Hinblick auf die Atomenergie. Röttgen konterte wieder mit dem Wesen der Demokratie. Bei der ziemlich naheliegenden Frage nach einem sicheren Endlager für Atommüll dagegen konnte er sich mit einem Hinweis auf die zerstrittenen Mit-Talker Clement und Künast ("Die beiden waren in einer Regierung, ist doch lustig") erstaunlich leicht aus der Affäre ziehen. Hier zielten Plasbergs harte Fragen in eine falsche Richtung.
Zu dem Zeitpunkt war die restlichen Diskussion komplett zerfasert. Ungefähr jeder brachte noch rasch zur Sprache, wer seiner Meinung nach den Industriestandort Deutschland am meisten schädige (jeweils ein anderer der Anwesenden). Jubilar Plasberg, vielleicht ein bisschen zerzauster und mit roteren Ohren als sonst, griff seltsam selten ein.
Den wahrsten Satz des Abends hatte Röttgen gesprochen, als Plasberg ihm die Scherzfrage stellte, wie spät es gerade ist (weil er vorher kolportiert hatte, Röttgen antworte auf diese Frage immer besonders umständlich). 20 vor 11 sei es, antwortete Röttgen, "wir bewegen uns auf den Höhepunkt des Abends zu" - nämlich eben die 100-Folgen-Jubiläumsparty, die mit Sendungsschluss beginnen sollte. In der Tat, zwischen 21.45 und 23.00 Uhr lag der Höhepunkt des Abends zumindest nicht.
Gern weitere 100 Folgen von "Hart aber fair", aber nicht unbedingt jede Woche, zweiwöchentlich oder monatlich würde auch ausreichen - und vielleicht dafür sorgen, dass über präziser umrissene Themen konzentrierter und aufschlussreicher diskutiert wird.
Christian Bartels ist daran gewöhnt, mit Medien ins Gericht zu gehen: Er schreibt auf evangelisch.de am Altpapier mit.