Freiwilliges "Betheljahr" boomt bei jungen Menschen
Der besondere Freiwilligendienst "Betheljahr" der von Bodelschwinghschen Stiftungen in Bethel boomt. Einem möglichen Aus für den Zivildienst sieht das bundesweit größte diakonische Unternehmen deshalb gelassen entgegen.
25.08.2010
Von Holger Spierig

Stina Stelzner sammelt die Würfel wieder in den Lederbecher und nickt dem neben ihr sitzenden Mann im Rollstuhl aufmunternd zu: "Dann versuch noch mal dein Glück!". Beim "Kniffeln" blüht der 71-jährige Achim König, der schwer mehrfach behindert ist, in der Tagespflege sichtlich auf. "Er will mich immer heiraten und mit mir durchbrennen", erzählt die junge Frau und lacht.

Die 20-Jährige gehört zu den jungen Menschen, die in den v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel in Bielefeld einen Platz im "Betheljahr" bekommen haben. Der besondere Freiwilligendienst boomt. Einem möglichen Aus für den Zivildienst sieht das bundesweit größte diakonische Unternehmen deshalb gelassen entgegen.

"Wir haben erlebt, dass die Zeit des Zivildienstes ständig verkürzt wird und die Zahl der Zivildienstleistenden zurückgeht", berichtet Alexander Pollhans, Leiter der Agentur Freiwilligendienste und Zivildienst in Bethel. Bethel habe jungen Menschen außerhalb des Zivildienstes eine Alternative anbieten wollen. 2002 hat sich das diakonische Unternehmen als Träger eines eigenen Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ) anerkennen lassen. Seitdem stieg die Zahl der Plätze von 25 auf jetzt 280. Und noch immer kommen auf jeden Platz mindestens drei Bewerber. Zivildienstleistende gibt es in Bethel dagegen nur noch etwa 80.

Diakonie als größter Träger

Dass die Kranken- oder Altenpflege ohne Zivildienst zusammenbrechen würde, fürchten mittlerweile die wenigsten Verbände. Bei einem auf sechs Monate gestutzten Ersatzdienst lohnt sich für viele Träger das Einarbeiten eines Zivis sowieso kaum noch. Der Vorschlag der Familienministerin Kristina Schröder (CDU) für einen staatlich organisierten freiwilligen Zivildienst stößt allerdings auf Skepsis. Klar ist, dass ein Aussetzen der Wehrpflicht auch das Aus des bisherigen Zivildienstes bedeutet.

Ein neuer staatlicher Dienst dürfe jedoch nicht das erfolgreiche Freiwillige Jahr unterlaufen, warnt Kerstin Griese vom Vorstand Sozialpolitik im Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland. Eine Doppelstruktur im Freiwilligendienst befürchten auch die Caritas und weitere Wohlfahrtsverbande. "Das Freiwillige Soziale Jahr muss ausgebaut und finanziell ebenso ausgestattet werden wie ein möglicher Zivildienst", fordert Griese. Die Diakonie ist mit etwa 12.000 der bundesweit rund 90.000 Zivildienstleistenden der größte Träger in diesem Bereich. Ein FSJ in der Diakonie leisten rund 6.000 junge Menschen.

"Durch das freiwillige Engagement bekommen wir eine enorme Unterstützung", sagt Pollhans. Die jungen Menschen brächten viele neue Ideen mit. Zudem sind sie ganz anders motiviert als bei einem staatlichen Pflichtdienst. Außerdem haben im FSJ auch junge Frauen die Möglichkeit, sich zu bewerben. Ein Betheljahrplatz erhalte aber im Vergleich zu einem Zivildienstplatz bislang nur einen Viertel der Zuschüsse, kritisiert Pollhans. Das müsse sich dringend ändern.

Wachsender Leistungsstress

Wer einmal in die soziale Arbeit hineinschnuppern möchte, für den bietet Bethel ein breites Spektrum, das von der Betreuung behinderter Menschen bis zum Einsatz im Krankenhaus oder in der Obdachlosenhilfe reicht. Bis zu 600 Euro erhalten sie monatlich für Verpflegung, Unterkunft und Taschengeld.

Die Beliebtheit des Dienstes führt Pollhans darauf zurück, dass die jungen Menschen erst in der Schule und später im Studium einem wachsenden Leistungsstress ausgesetzt sind. Deswegen nutzten viele das Betheljahr, um vor einem Studium eine neue Perspektive zu erleben. Andere überbrücken damit eine Wartezeit auf einen Ausbildungsplatz. Ob sich die Teilnehmer für eine Zukunft im sozialen Bereich entscheiden, ist für Pollhans zweitrangig: "Wir möchten dazu beitragen, dass junge Menschen mit alten und behinderten Menschen in Kontakt kommen."

Stina Stelzner hat durch das Betheljahr neu über ihre Zukunft nachgedacht. "Ich habe gemerkt, wie viel Spaß es mir macht, mit Menschen zu arbeiten", erzählt sie. Ursprünglich hatte sie Tierpflegerin werden wollen. Inzwischen hat sie sich für ein spezielles Studium in Holland entschieden, in dem sie Therapien erlernt, bei denen Tiere eingesetzt werden.

epd