Engagiert und evangelisch: Margot Käßmanns Bilanz
Margot Käßmann ist nicht mehr Bischöfin, doch das Interesse an ihr ist ungebrochen. Ein Buch zieht nun eine erste Bilanz ihrer mehr als zehnjährigen Zeit an der Spitze der Landeskirche Hannovers und als Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
23.08.2010
Von Bernd Buchner

Eine evangelische Bischöfin, höchste Vertreterin der Kirche im Land der Reformation, eine herausragende Theologin und national wie international als Gesprächspartnerin geschätzt, Mutter von vier Kindern, eine Scheidung und einer Krebserkrankung liegen hinter ihr, fährt betrunken Auto und tritt daraufhin von allen Ämtern zurück: Margot Käßmann ist der Stoff, aus dem die großen Romane entstehen. Vor allem aber ist sie eine bemerkenswerte Frau.

Nun legt die 52-jährige Theologin eine erste Bilanz ihrer Amtszeit vor. Am Montagnachmittag wird das Buch der Öffentlichkeit vorgestellt – in der Marktkirche in Hannover, in der die Bischöfin unzählige Male gepredigt hat. Zusammengestellt haben die 222-seitige, reich bebilderte Publikation zwei Vertraute Käßmanns: ihre langjährige persönliche Mitarbeiterin Silvia Mustert sowie Christof Vetter, Leiter des Lutherischen Verlagshauses und Ex-Sprecher der EKD.

Reportage über den Rücktritt

Sie entfalten darin ein Panorama jener Themen, die der ehemaligen EKD-Ratschefin seit jener wichtig waren. Zu fast jedem Kapitel hat Margot Käßmann einige einleitende Gedanken formuliert. Den Anfang macht im Buch indes das Ende: Eine Reportage schildert unter dem Titel "Aufrecht gehen" die Geschehnisse rund um den abrupten Rücktritt Käßmanns im Februar 2010. Sie war wenige Tage zuvor von Polizisten vor ihrem Haus gestoppt worden: am Steuer ihres Dienstwagens, mit 1,54 Promille Alkohol im Blut.

Breiten Raum nimmt das Thema Krieg und Frieden ein, dem Käßmann in ihrer kurzen Amtszeit an der EKD-Spitze einen dicken Stempel aufdrückte. "Nichts ist gut in Afghanistan", sagte sie in mehreren Predigten, ein Satz mit Sprengkraft. Bestimmt war die Debatte vom Missverständnis, sie habe den sofortigen Abzug der Bundeswehr gefordert. Naivität warf man ihr vor – einige Kritiker erweckten dabei auch den Eindruck, eine Frau als Gesprächspartnerin nicht für voll zu nehmen. Die Geschlechterdebatte lässt grüßen.

Freude über Renaissance der Spiritualität

Ein eigenes Kapitel in dem Buch ist der Predigerin Margot Käßmann gewidmet: "Die Stimme der Kirche wird nicht in Interviews, nicht in Talkshows, sondern dort erhoben, wo die Kirche zu Hause ist: auf der Kanzel", schreiben die Autoren zu Recht. Kein Gotteshaus ihrer Landeskirche, das die Bischöfin in den zehneinhalb Jahren ihrer Amtszeit nicht besucht hätte. Käßmann begrüßt die Renaissance der Spiritualität in den reformatorischen Kirchen, setzt sich für die Ökumene ein und ist im Jahr 2005 Gastgeberin des Evangelischen Kirchentages in Hannover. All das ruft das Buch lebendig in Erinnerung.

Zu gesellschaftlichen Themen, die ihr auf den Nägeln brannten, hat Margot Käßmann nie geschwiegen. "Bevor wir überhaupt gemerkt haben, dass da ein Thema ist, hat sie es schon aufgegriffen und umgesetzt", sagte einmal Albrecht Bungeroth, langjähriger Synodenpräsident in Hannover. Das Buch listet die Palette akribisch auf. Ob soziale Gerechtigkeit, Bildung für Kinder oder Babyklappe, unbequemen Debatten ging die Bischöfin nie aus dem Weg. Zuletzt übte Käßmann in ihrem Bestseller "In der Mitte ihres Lebens" heftige Kritik am Schönheits- und Jugendwahn der Gesellschaft.

Allein auf den schwersten Wegen

Die Brüche im Leben der aus Hessen stammenden Theologin werden nicht ausgeblendet. "Die schwersten Wege werden alleine gegangen", zitiert Käßmann die Dichterin Hilde Domin – und gewährt den Autoren sogar einen Blick in ihr Tagebuch. Am 25. August 2006, kurz nach der Krebsdiagnose, notiert sie: "Lauter Leute voller Betroffenheit kann ich nicht um mich haben. Ich schaff' das schon." Nur wenige Beobachter machen sich klar, was es heißt, mit Persönlichem so sehr und unausweichlich in der Öffentlichkeit zu stehen.

Mit dem Medienphänomen Käßmann befassen sich "chrismon"-Chefredakteur Arnd Brummer und in einem Gastbeitrag der Chefredakteur der "Frankfurter Rundschau", Joachim Frank. Er erläutert, warum der Person der Bischöfin mindestens die gleiche Aufmerksamkeit erregte wie den Ämtern, die sie ausübte. Und Ulrike Millhahn, epd-Redakteurin in Hannover, schreibt farbig über ihre Bischofswahl von 1999. Ein Interview mit "Bild der Frau"-Chefin Sandra Immoor über den Modestil der Theologin rundet den Band ab.

"Zeit, weiter zu gehen"

"Engagiert evangelisch" zieht eine geradlinige erste Bilanz der Amtszeit von Margot Käßmann. Naturgemäß ist die Nähe der Autoren zu ihrem Gegenstand spürbar. Mit ihrem Buch machen sie all jenen eine Freude, die sich der ehemaligen Bischöfin verbunden fühlen und sich auf ein Wiedersehen mit ihr freuen. "Jetzt scheint es Zeit, weiter zu gehen", sagte Käßmann Anfang Juni beim Abschied vor der Landessynode in Hannover. Nun verbringt sie erst einmal einige Monate in den USA, forscht und lehrt in Atlanta.

Silvia Mustert/Christof Vetter: Engagiert evangelisch. Zehn Jahre einer Bischöfin. Mit zahlreichen Beiträgen von Margot Käßmann, Hannover 2010. Lutherischese Verlagshaus, 222 Seiten, 19,90 Euro.


Bernd Buchner ist Redakteur bei evangelisch.de und zuständig für die Ressorts Politik und Religion.