Schlingensief: So schön wie hier kann's im Himmel nicht sein
Seit mehreren Jahren litt Christoph Schlingensief an Lungenkrebs - am Samstag ist der umtriebige Regisseur und Aktionskünstler seiner Krankheit erlegen. Er wurde nur 49 Jahre alt.
22.08.2010
Von Holger Spierig und Andreas Rehnolt

Für seine Kunst hat er immer wieder Grenzen überschritten. Selbst aus tiefsten Ängsten machte das Regie-Multitalent Christoph Schlingensief öffentliche Kunst. Seinen Kampf mit dem Tod verarbeitete er in Theaterprojekten, in seinem Buch "So schön wie hier kann's im Himmel gar nicht sein" ließ er die Nation an seiner Auseinandersetzung mit den letzten Dingen teilhaben. Gestartet war Schlingensief als Rebell und Provokateur. In den späteren Jahren verblüffte er Kritiker mit Theater- und Operinszenierungen. Am Samstag ist Schlingensief mit 49 Jahren an einer Krebserkrankung in Berlin gestorben.

An seinem Todestag hatte ursprünglich die Premiere seiner Produktion "S.M.A.S.H. - In Hilfe ersticken" auf dem Spielplan der Ruhrtriennale gestanden. In seiner Absage vor wenigen Wochen eröffnete Schlingensief bereits, dass es "ein paar harte Neuigkeiten" gebe, denen sofort nachgegangen werden müsse. Vor fast drei Jahren war erstmals bei dem Nichtraucher Lungenkrebs festgestellt worden. Darauf wurde ihm Lungenflügel entfernt, und er unterzog sich einer Chemotherapie.

Respektiertes Enfant terrible

Dass der einst als "Enfant terrible" des Kulturbetriebes gestartete Schlingensief sich bis hinein in die Hochkultur Respekt erarbeitet hat, zeigt auch die Spannbereite der Reaktionen auf seinen frühen Tod. Er habe die Film- und Theaterszene in Deutschland maßgeblich beeinflusst, erklärte Kulturstaatsminister Bernd Otto Neumann (CDU).

Mit ihm verliere das deutsche Theater einen der wichtigsten Protagonisten, schrieben die Bayreuther Festspiele auf ihrer Internetseite. Seine "Parsifal"-Inszenierung habe einen wesentlichen Akzent in der Aufführungsgeschichte des Werkes gesetzt, der weit über Bayreuth hinaus gewirkt habe. Der Regierende Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit (SPD) erklärte, ein großer Mann des deutschen Theaters habe die Bühne viel zu früh verlassen.

Angst vor dem Sterben

Seine Angst vor dem Sterben hatte Schlingensief nicht nur in seinem Buch (Foto: dpa) geschildert, sondern bereits eindrucksvoll bei seinem auf der Ruhrtriennale 2008 aufgeführten Stück "Kirche der Angst" auf die Bühne gebracht. Er habe dort seine Trauerfeier vorweggenommen, sagte er dazu. Auch in vielen Interviews sprach Schlingensief, der im vergangenen Jahr seine langjährige Lebensgefährtin, die Kostümbildnerin Aino Laberenz heiratete, immer wieder über das Thema. "Ich kann mir vorstellen, dass es eine Erlösung ist, wenn man das hinter sich hat und loslassen kann", sagte er jüngst.

Schlingensief war schon früh in der Kulturszene aktiv. Bereits mit 23 Jahren hatte er einen Lehrauftrag an der Kunstakademie Düsseldorf und war TV-Aufnahmeleiter in der ARD-Serie "Lindenstraße". Doch schon immer galt der Sohn eines Apothekers und einer Kinderkrankenschwester als "kreativer Exhibitionist". Seine frühen Low-Budget-Filmen waren oft blutig waren und loteten die Grenzen des Zumutbaren aus. Zugleich legte er damit den Finger auf gesellschaftliche Reizthemen Wunden wie die Schattenseiten der deutschen Wiedervereinigung ("Das deutsche Kettensägenmassaker" von 1990) oder die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit ("100 Jahre Adolf Hitler" von 1989).

Spektakuläre Aktionen

Bei seinen spektakulären Aktionen wurde hinter dem großen Provokateur zugleich auch ein moralischer Wertevermittler und Menschenfreund sichtbar. So installierte er im Jahr 2000 im Rahmen der Wiener Festwochen einen Container, indem sich nach dem Vorbild der Show "Big Brother" Asylsuchende befanden. Damit hatte er auf die ungewissen Schicksale von Asylsuchenden hinweisen wollen. 1998 gründete er für den Bundeswahlkampf eine Partei "Chance 2000", die er als "Partei der Arbeitslosen und von der Gesellschaft Ausgegrenzten" bezeichnete.

Aus dem Provokateur war mit den Jahren ein durchaus ernstzunehmender Regisseur und Akteur geworden. Seit 1993 war Schlingensief bereits an verschiedenen Theatern zu sehen. In seinem Stück "Rocky Dutschke, 68" arbeitete er mit Menschen mit einer geistigen Behinderung. Danach inszenierte er auch an Opern-, Schauspiel- und Festspielhäusern in Bayreuth, Hamburg, Manaus, Zürich und Wien. Erst im Dezember vergangenen Jahres wurde er in Düsseldorf mit dem renommierten Helmut-Käutner-Preis ausgezeichnet. Im kommenden Jahr sollte er den deutschen Pavillon bei der Biennale von Venedig gestalten.

Eine Oper in Afrika

Zuletzt engagierte er sich für ein Operndorf-Projekt im afrikanischen Staat Burkina Faso. Der Grundstein für das Vorhaben in einem der ärmsten afrikanischen Länder war im Februar diesen Jahres gelegt worden. Das Projekt schien für ihn so etwas wie sein Nachlass zu sein. Damit es noch Wirklichkeit werden kann, bitten auf Schlingensiefs Internetseite Freunde und Familie, von Trauerkränzen und Blumen abzusehen. Eine Spende für das Operndorf sei im Sinne Christoph Schlingensiefs, heißt es dort.

epd