Lüdemann zieht radikale Bilanz der Bibelforschung
Gerd Lüdemann verwirrt in seinem neuen Buch "Die gröbste Fälschung des Neuen Testaments" erneut fromme Bibelleser. Die meisten Verfasserangaben der neutestamentlichen Briefe seien falsch, schreibt der umstrittene Göttinger Theologe.
21.08.2010
Von Stephan Cezanne

Sieben der 27 Dokumente des Neuen Testaments seien echt, drei "vielleicht echt, die übrigen bewegen sich zwischen Unechtheit und Anonymität", schreibt Lüdemann, der sich in den 1990er Jahren vom christlichen Glauben losgesagt hatte. Sein jüngstes Werk erscheint im September im Verlag zu Klampen in Springe bei Hannover.

"Zugegeben: Dieser Betrug geschah nicht in niederer, sondern in höherer Absicht", räumt der Wissenschaftler ein. Die Verfasser - oft Kirchenoberhäupter, deren Schriften zugleich ein hohes Wahrheitsethos enthalten - meinten Lüdemann zufolge, Gott durch ihre Lügen zu dienen. Doch dabei hätten sie sich nur etwas vorgemacht, so der seit 1983 in Göttingen lehrende Autor. Er wurde wegen seiner kritischen Sicht auf Religion und Kirche 1998 in das Fach "Geschichte und Literatur des frühen Christentums" versetzt. Lüdemann wehrte sich dagegen, scheiterte aber 2009 vor dem Bundesverfassungsgericht.

Gottes Wort und fromme Dichtung

Lüdemann steht mit seiner Bibelkritik in einer langen Tradition. Seit Jahrhunderten nehmen Gelehrte die Heilige Schrift unter die Lupe. Zentrale Frage dabei: Ist die Bibel Gottes Wort oder nur fromme Dichtung? Wurde die Bibel ausgewählten Menschen quasi von Gott in die Feder diktiert oder fasst sie - ganz rational - die jahrtausendealte Erfahrung von Menschen mit Gott in Erzählungen und mythischen Geschichten zusammen?

So kam im 18. Jahrhundert der Professor für orientalische Sprachen, Hermann Samuel Reimarus (1699-1768), zum Schluss: Die Aussagen der vier Evangelisten weichen so weit voneinander ab, dass sie vor keinem Gericht der Welt Bestand hätten. Warum sollte die Menschheit darauf "Glauben und Hoffnung zur Seligkeit gründen"? Als Zerstörer der Bibel wurde der evangelische Theologe David Friedrich Strauß (1808-1874) angegriffen. In seinem Buch "Das Leben Jesu" interpretiert er das Neue Testament weitgehend als unhistorisch.

Jesusbild aus der "glaubenden Gemeinde"

Lüdemann (Foto: epd-bild) beruft sich in seinem neuem Buch auf die historische Bibelkritik. Diese hatte herausgefunden, dass das Bild von Jesus in den Evangelien im Wesentlichen das der "glaubenden Gemeinde" ist. Denn die meisten der in den Evangelien berichteten Worte und Taten Jesu gingen auf Christen zurück, die nachträglich dem von ihnen angebeteten "Herrn" Sprüche in den Mund gelegt und Taten zugeschrieben haben. Ob diese Texte "echt" oder "unecht" sind, ist von hoher Bedeutung. Immerhin beruhen zentrale Aussagen der christlichen Botschaft - etwa dass Gott Mensch wurde - auf ihnen.

Die Erforschung der Briefe des Neuen Testaments führe zu einem ähnlichen Ergebnis, so der Wissenschaftler: "Ebenso wie spätere Christen viele Jesusworte und -taten erfanden, kannten sie keine Skrupel, Schriftstücke unter dem Namen von Aposteln zu fabrizieren und deren Echtheit durch literarische Manipulationen vorzutäuschen." Auch in diesen Dokumenten mit unwahrer Verfasserangabe spiegele sich der christliche Glaube einer späteren Zeit wider.

Auch Altes Testament entzaubert

Auch das Alte Testament wurde von der Textforschung bereits entzaubert. Schon lange ist bekannt, dass etwa die fünf Bücher Mose auf mehrere Quellen zurückgehen und das Jesajabuch mindestens von drei Verfassern stammt. Doch sei dies kein Argument gegen den Glauben, meinen die Kirchen. Die Wahrheit der Bibel zeige sich im Gebrauch, etwa als Trostbuch im Leid, betont die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands in ihrem Katechismus: "Dafür ist sie geschrieben."

Gerd Lüdemann: "Die gröbste Fälschung des Neuen Testaments - Der zweite Thessalonicherbrief", Springe 2010. Verlag zu Klampen, etwa 112 Seiten, 12,80 Euro.

epd