Christian Adam Dann: "Bitte der armen Thiere"
Es war ein Bild, das den lebenserfahrenen Mann zutiefst berührte: Ein Unbekannter hatte ein Storchenpaar, das auf der Mössinger Kirche brütete, mit dem Gewehr beschossen und eines der Tiere total durchlöchert. Christian Adam Dann, der 62-jährige Pfarrer der Kirche, war außer sich.
18.08.2010
Von Eduard Kopp

Hatte er seinen Dörflern nicht seit fast zehn Jahren geistlich und moralisch ins Gewissen geredet? War nicht die ganze Kirche dabei, sich religiös zu erneuern, "fromm" zu werden im umfassenden Sinn, sich "erwecken" zu lassen?

Ein Jahr später hatte der evangelische Pfarrer, bis dato für seine Buß- und Erbauungspredigten bekannt und vor allem von jungen Frauen bewundert und verehrt, ­eine Schrift verfasst, nicht dicker als vierundvierzig Seiten, aber von programmatischer Brillanz: "Bitte der armen Thiere, der unvernünftigen Geschöpfe, an ihre ­vernünftigen Mitgeschöpfe und Herrn, die Menschen". Die Bitte der Tiere fasst Dann so zusammen: "Macht unser meist kurzes, mühevolles Leben erträglich."

Tiere sind zwar unvernünftig, aber nicht empfindungslos, ihnen Schmerzen zu ersparen ist der Wunsch des Theologen. Die religiöse Erneuerung des Menschen soll umfassend sein, Tierquälerei ist aber ein Zeichen dafür, dass Menschen ihren Sünden verhaftet sind. Wer seine Sünden bereut und sich bekehrt, wird nicht nur ein neuer Mensch, sondern geht auch freundlich mit den anderen Geschöpfen um. ­Dazu gab es auch ein schwäbisches Sprichwort: "Wenn sich ein Bauer bekehrt, merkt es auch sein Vieh im Stall."

Ein durchlöcherter Storch - eine lücken­hafte Moral? Es war nicht nur die beobachtete Tierquälerei, die Christian Adam Dann entsetzte. Es ging ihm um die Moral der ganzen Gesellschaft, für die er ohne Rücksicht auf sich selbst kämpfte. Er, der Moralist, verhedderte sich dabei gleichsam in seinen eigenen Prinzipien: An der Stuttgarter Leonhardskirche war er Diakon, also Hilfsgeistlicher, gewesen. 1812 fiel er beim württembergischen König Friedrich I. in Ungnade, weil er bei der Bestattung eines Stuttgarter Schauspielers heftig das Theaterleben und die Unmoral in der Hauptstadt kritisiert hatte. Möglicher­weise tat er es, weil der Schauspieler ihn selbst gebeten hatte, seine Reue über sein gottloses Erdenleben bekanntzumachen. Auf Betreiben des Königs musste Dann Stuttgart verlassen. Eine Dekansstelle in Weinsberg lehnte er ab, so wurde er ins abgelegene Dorf Öschingen bei Tübingen versetzt. ­Später wurde er Pfarrer in Mössingen.

Lieber Predigen als Forschen

Die wissenschaftliche Theologie war Danns Stärke nicht. Aber er korrespondierte mit wichtigen Theologen seiner Zeit. Ein eigen­ständiges pietistisches "Gemeinschafts­wesen" neben der Landeskirche lehnte er ab, er kämpfte um die Erneuerung der ganzen Kirche. Zu predigen lag ihm mehr als zu forschen. Er stammte aus einer namhaften hugenottischen Familie - sein Vater war lange Bürgermeister von Tübingen gewesen -, er selbst hatte im Theologischen Stift Tübingen studiert, war dort später Repetent, also Dozent, geworden. In einer Beschreibung von 1876 ist zu lesen: "Seine Persönlichkeit, die voll und mit tiefem Ernst in jedem Worte zu Tage trat, das lebensvolle, scharf ausgeprägte Angesicht, die herrliche Stimme - alles das wirkte gewaltig auf das stets zahlreiche Auditorium. Die hohe religiöse Temperatur, der seelsorgerliche Ernst und die ascetische Strenge, der doch eine jedes Opfers fähige Menschenliebe zur Seite ging, war mehr werth, als wenn er von der Kanzel Dogmatik docirt hätte."

König Wilhelm I. holte den 65-jährigen Pfarrer, der 1812 von seinem Vorgänger Friedrich I. aufs Land strafversetzt worden war, nach Stuttgart zurück, wo er ab 1825 bis zu seinem Tod 1837 an der Leonhardskirche wirkte.

Wäre Christian Adam Dann mit seinen moralischen Ansichten in Stuttgart nicht angeeckt, wäre er nicht aufs Land strafversetzt worden, hätte er sich wohl nie dem Tierschutz verschrieben. 1833 veröffent­lichte der Theologe eine zweite Schrift "zur Linderung der unsäglichen Leiden der in unserer Umgebung lebenden Thiere". Beide Bücher hatten auf die Leser, vor allem auf seinen Freund, den Liederdichter und Pfarrer Albert Knapp, eine starke Wirkung. Wenige Monate nach Danns Tod gründete Knapp den ersten Tierschutzverein Deutschlands.


Der Text stammt aus der Augabe 3/2010 des Magazins "chrismon".