TV-Tipp des Tages: "X Factor" (RTL)
Heute startet die erste Staffel der neuen Casting-Show "X-Factor". In der Jury sitzen Sängerin Sarah Connor, Jazz-Trompeter Till Brönner und Musikproduzent George Glueck.
17.08.2010
Von Tilmann P. Gangloff

"X Factor", 20. August, 20.15 Uhr auf RTL

Im Grunde ist die Blütezeit der Castingshows vorbei, aber RTL und Vox könnten dem Genre noch mal neues Leben einhauchen. Die Unterschiede zwischen "X Factor" und "Deutschland sucht den Superstar" sind zwar so marginal, dass in Großbritannien die Gerichte bemüht werden mussten, doch eine Diskrepanz ist offensichtlich: Bei "X Factor" stehen auch die Mitglieder der Jury auf dem Prüfstand.

Erfunden hat die Show der englische Musikproduzent Simon Cowell, der zuvor in der Jury des britischen "DSDS"-Pendants "Pop Idol" saß. In drei Punkten hat er das Vorbild weiterentwickelt: Gefragt sind keine blutigen Anfänger, sondern Sänger mit Erfahrung. Außerdem muss es sich nicht automatisch um junge Künstler handeln; "X Factor" hat auch ein Herz für Ältere. Darüber hinaus werden Gruppen und Duette gesucht. Über 19.000 Kandidaten haben sich beworben. Wer die Vorauswahl übersteht, darf wie bei "Popstars" in ein Trainingscamp. Jedes Jury-Mitglied übernimmt eine Kategorie als Mentor und entscheidet sich schließlich für jeweils sechs Kandidaten, mit denen an den Feinheiten von Stimme, Auftritt und Bühnenpräsenz gefeilt wird. Am Ende dieser Phase müssen jeweils drei Talente ausgewählt werden, die in die Live-Shows dürfen.

Naturgemäß erfordert dieses Konzept Jurorinnen und Juroren, die professionell mit Musik zu tun haben. RTL und Vox konnten Sängerin Sarah Connor, Jazz-Trompeter Till Brönner und Musikproduzent George Glueck (Ich + Ich) gewinnen. Den Bohlen will in dieser Runde keiner machen. Dass Connor in den letzten Jahren weniger durch Musik, sondern vor allem durch missglückte Doku-Soaps über ihre Hochzeit mit dem Sängerkollegen Marc Terenzi ("Sarah & Marc in Love"), das gemeinsame Eheleben ("Sarah & Marc Crazy in Love") und schließlich die Scheidung (ohne entsprechende Doku-Soap) auf sich aufmerksam gemacht hat, schmälert ja ihren Sachverstand nicht. Und der wird bei "X Factor" nur noch von ihrer Hingabe übertroffen; da kullern auch schon mal dicke Tränen.

Natürlich kann und will auch diese Castingshow nicht auf die wohlfeilen Schmähungen hoffnungslos unbegabter Kandidaten verzichten. Bei manch’ schräger Darbietung fürchtet man in der Tat, gleich werde der Bildschirm zerspringen. In diesen Momenten gibt es dann doch Sprüche à la Bohlen, wenn Glueck sagt, Folter sei in Europa verboten, Brönner bekennt, "Wir gruseln uns" oder Connor vom "Nix-Faktor" spricht. Aber das sind die Ausreißer nach unten. Nach oben sieht es ungleich besser aus: Einige der Stimmen gehen wirklich unter die Haut.

Ob das Trio tatsächlich, wie Connor etwas vollmundig verspricht, Künstler findet, die erst Deutschland und dann die ganze Welt im Sturm erobern werden, wird sich noch rausstellen. In Großbritannien wurden dank "X Factor" immerhin Alexandra Burke und Leona Lewis entdeckt. RTL zeigt heute und morgen die beiden Auftaktsendungen und später die Finalshows, Vox fasst immer dienstags zusammen, was in den Trainingslagern passiert. Die Sieger bekommen einen Plattenvertrag bei Sony Music. Hergestellt wird "X Factor" von der Kölner Unterhaltungsschmiede Grundy Light Entertainment (GLE). Dort wird man allzu große Ähnlichkeiten mit "Deutschland sucht den Superstar" tunlichst vermeiden, denn das würde der Erfolgsshow sicher nicht gut tun. Daran aber kann man bei GLE kein Interesse haben: "DSDS" produzieren die Kölner auch.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).