TV-Tipp des Tages: "Schurkenstück" (ARD)
Eine Theaterregisseurin will mit einer Gruppe schwer erziehbarer oder krimineller Jugendlicher Friedrich Dürrenmatts "Besuch der alten Dame" inszenieren.
17.08.2010
Von Tilmann P. Gangloff

"Schurkenstück", 18. August, 20.15 Uhr im Ersten

Der Titel "Schurkenstück" ist eine prägnante Zusammenfassung des Inhalts: Torsten C. Fischers Film erzählt von einer Theaterregisseurin, die mit den Insassen einer Strafanstalt Friedrich Dürrenmatts "Besuch der alten Dame" inszenieren will.

Kriminelle spielen anständige Bürger, die aus Geldgier zu Verbrechern werden: Schon allein diese Grundidee ist von einer wunderbaren Süffisanz. Natürlich rührt das schreibende Ehepaar Eva und Volker A. Zahn die üblichen Gangster-Klischees zusammen, um die Knackis zu charakterisieren. Aber da sich juvenile Ganoven in ihrem Habitus grundsätzlich an schlechten Filmen orientieren, wirken die Klischees eher satirisch als stereotyp. Torsten C. Fischer, der im vorigen Jahr mit "Romy" imponierte, hat dank großartig geführter Darsteller ein preiswürdiges Ensemble-Stück inszeniert. "Schurkenstück" gehört in die Tradition jener Dramen, die sich noch heute an "Saat der Gewalt" von Richard Brooks (1955) orientieren: Eine Gruppe schwer erziehbarer oder krimineller Jugendlicher einigt sich auf ein Ziel und wird aller Gegensätze zum Trotz zu einer verschworenen Gemeinschaft.

In diesem Fall sind die Gegensätze besonders groß, denn das dreckige halbe Dutzend, das Regisseurin Fanny (Katharina Schüttler) zusammenstellt, repräsentiert Kulturen, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Gewalttäter Timo (Franz Dinda) ist Neonazi, Pjotr (Vladimir Burlakow) gehört zur russischen Mafia, der Türke Erdal (Arnel Taci) hat sich für seinen Drogenkonsum als Strichjunge verdingt, und der suizidgefährdete Patrick (Sebastian Urzendowski) kann überhaupt nicht lesen. Immer wieder brechen die Konflikte zwischen den Jugendlichen auf.

Kaum merklich aber wandelt sich das Bild, je näher man die Burschen kennen lernt. Das Drehbuch vermeidet es zwar, lauter Saulus/Paulus-Geschichten aneinander zu reihen, doch gewisse Sympathien stellen sich durchaus ein. Dafür sorgen nicht zuletzt jene Szenen, in denen die Einzelnen aus dem Ensemble heraustreten und auf erschütternd brutale Weise selbst zu Opfern werden. Fischer hat es ohnehin tunlichst vermieden, den Knastalltag zu romantisieren. Die Justizvollzugsanstalt wirkt wie ein Vorhof zur Hölle, was auch erklärt, warum die Jugendlichen überhaupt mitmachen: Die Proben versprechen Abwechslung. Außerdem hat Kilian erzählt, die Regisseurin sei blond. Der Sozialarbeiter begleitet das Projekt, hält aber eigentlich nichts davon und ist daher zunächst alles andere als eine große Hilfe. Oliver Korittke holt als Mann im Hintergrund schon allein wegen seiner markanten Stimme beinahe mehr aus dieser Rolle raus, als in ihr steckt. Dramaturgisch ist Kilian allerdings fast die wichtigste Figur: Er verkörpert den Sinneswandel, den man auch als Zuschauer vollzieht.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).