Grausame Justiz für verbotene Liebe
Die drastische Auslegung der Scharia, des islamischen Rechts - besonders die Steinigung von überführten oder vermeintlichen Ehebrechern, empört nicht nur Menschenrechtsgruppen.
17.08.2010
Von Eva Krafczyk

Abdullahi Hassan fastet im Ramadan, liest täglich im Koran und betet jeden Freitag in seiner Moschee in Nairobi. Doch wenn der gläubige Muslim somalischer Abstammung sieht, wie in einigen Staaten im Namen Allahs Recht gesprochen wird, ist er wütend und traurig. "Nennen wir Allah nicht auch den Allbarmherzigen?" fragt er. "Im Koran ist von solchen Strafen nicht die Rede." Der 43-jährige Familienvater empört sich gegen eine drastische Auslegung der Scharia, des islamischen Rechts - besonders gegen die Steinigung von überführten oder vermeintlichen Ehebrechern.

Vergewaltigte 13-jährige zu Tode gesteinigt

Erst am Montag ließen afghanische Taliban auf einem Marktplatz in Kundus ein unverheiratetes Liebespaar zu Tode steinigen. Ende vergangenen Jahres verurteilten Richter der radikalislamischen Al-Shabaab-Miliz im Süden Somalias einen verheirateten Mann und seine schwangere Geliebte zum Tod durch Steinigung. Die Frau musste die öffentliche Hinrichtung ihres Geliebten mit ansehen, dann wurde sie ins Gefängnis zurückgebracht - bis zur Geburt des Kindes wurde ihr noch eine Gnadenfrist eingeräumt.

Keine Gnade kannte Al-Shabaab im Oktober 2008 mit der 13-jährigen Aisha. Das Mädchen war von drei Männern vergewaltigt worden. Ihre Tante ging mit ihr zur Polizei, um das Verbrechen anzuzeigen. Sie konnte nicht ahnen, dass die Miliz das Opfer zur Ehebrecherin erklären würde. Aisha wurde im Sportstadion der Hafenstadt Kismayo gesteinigt, das erste Opfer der blutigen Justiz, seit Al-Shabaab in den von der Miliz kontrollierten Gebieten Recht sprach. Die Vergewaltiger blieben ungeschoren.

Überwiegend Frauen von Steinigung betroffen

Unter den verschiedenen Arten der Todesstrafe ist Steinigung sicherlich eine der grausamsten Formen, eine kollektive Hinrichtung, die eine langsame, schmerzhafte Tötung der Verurteilten bedeutet. Steinigung ist keine Erfindung des Islam - schon im antiken Griechenland wurden Mörder und Ehebrecher gesteinigt, und auch das Alte Testament sah für einige schwere Verbrechen die Steinigung als angemessene Strafe an. Im Judentum wurde Steinigung schon vor langem aufgegeben. Viele muslimische Rechtsexperten lehnen sie als unnötig grausam ab, auch wenn Ehebruch (Zina) als eine der am schwersten wiegenden Sünden gilt.

Die Zahl der zur Steinigung verurteilten Frauen ist ungleich höher. Zum einen droht etwa einer Witwe oder geschiedenen Frau, dass ein verbotenes Verhältnis aufgedeckt wird, sobald sie schwanger wird. Zum anderen können sich Frauen nicht offiziell von einem ungeliebten Mann trennen. Viele werden schon als ganz junge Mädchen zwangsverheiratet, obwohl sie den oft wesentlich älteren Mann ablehnen. Dagegen haben Männer deutlich mehr Rechte: Sie können sich entweder von ihrer Ehefrau scheiden lassen oder die Geliebte zusätzlich heiraten - nach islamischem Recht sind ihnen bis zu vier Ehefrauen erlaubt.

"Steinigung ist in meinen Augen unislamisch"

Es sind nicht nur religiöse Extremisten wie die Taliban und Al-Shabaab, die eine verbotene Liebe mit dem Tod bestrafen wollen. In einem Dutzend der nordnigerianischen Bundesstaaten, in denen vor zehn Jahren die Scharia als Rechtsgrundlage eingeführt wurde, ist Steinigung als Strafe für Ehebruch oder Vergewaltigung vorgesehen. Mehrere Frauen wurden verurteilt.

Auch wenn die Urteile nicht vollstreckt wurden - die betroffenen Frauen verbrachten Jahre als Todeskandidatinnen im Gefängnis. Auch im islamischen Nordsudan, wo Homosexuellen die Todesstrafe droht und Frauen für "unmoralische" Kleidung wie Hosen ausgepeitscht werden, lässt das Gesetz Steinigung zu. Menschenrechtsgruppen in aller Welt appellieren seit Wochen um Gnade für die wegen Ehebruchs verurteilte Iranerin Sakineh Mohammadi-Ashtiani.

Mohamed Salim, ein kenianischer Muslim, hofft, dass das Leben der Iranerin verschont wird. "Ehebruch ist eine schwere Sünde, aber Steinigung ist in meinen Augen unislamisch", sagt er. "Es sind Rechtsprechungen wie diese, die Ressentiments gegen uns Muslime schüren."

dpa