"Pakistan als Prüfstein für unsere Solidarität"
Der frühere Leiter des UN-Umweltprogramms, Klaus Töpfer (72), ruft zu Spenden für die Opfer der Überschwemmungen in Pakistan auf. Der ehemalige Bundesumweltminister (CDU) bedauert in einem epd-Interview, dass die Hilfsbereitschaft für das Land verspätet einsetzt, obwohl das Ausmaß der Katastrophe dramatisch ist.
13.08.2010
Die Fragen stellte Elvira Treffinger

Herr Töpfer, Sie sind Vizepräsident der Deutschen Welthungerhilfe und bitten eindringlich um Spenden für die Flutopfer in Pakistan. Was verbindet Sie mit dem Land?

Klaus Töpfer: Ich habe persönlich bis heute sehr viele Kontakte nach Pakistan, die aus meiner Zeit als Minister und als Leiter des UN-Umweltprogramms stammen. Aber ich weiß auch, dass Pakistan für die Stabilität in dieser wichtigen asiatischer Region von zentraler Bedeutung ist. Doch Auseinandersetzungen mit den Taliban und die unruhige Grenzregion zu Afghanistan bedrohen die Stabilität. Das ist der Rahmen für das, was Naturkatastrophe genannt wird und gegenwärtig in schrecklichen Bildern vor unseren Augen abläuft.

Wie sehen Sie die Überschwemmungen?

Töpfer: Es ist ein Jahrhundertereignis, eine Flut, wie man sie nie gekannt hat. Aber es ist auch eine menschliche Tragödie in einer Region, in der durch das Erdbeben 2005 und durch ideologische, aber auch terroristische Auseinandersetzungen zusätzliches Leid auf die Menschen zukam. Erst seit 2008 hat Pakistan eine zivile Regierung, der es aber nicht gelungen ist, das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen. Es kommt alles zusammen. Insofern ist die Flutkatastrophe in der Wirkung noch deutlich verstärkt.

Was macht die Flutkatastrophe in Pakistan so außergewöhnlich?

Töpfer: Die Häufung von schwierigen Umständen und die Größenordnung, die man sich nicht denken konnte. Man muss bei aller kritischen Distanz zu der pakistanischen Regierung festhalten: Eine solche dramatische Naturkatastrophe wäre für jede andere Regierung eine große Herausforderung.

Die Vereinten Nationen schätzen, dass sechs Millionen Menschen dringend sauberes Trinkwasser und Lebensmittel brauchen. Insgesamt 14 Millionen Menschen sind von der Flutkatastrophe betroffen, jeder elfte Einwohner.

Töpfer: Bei vielen gibt es eine gewisse Distanz gegenüber Pakistan. Das ist vielleicht der Grund, dass die Bereitschaft, zu helfen, zu spenden und Solidarität zu zeigen, etwas später eingesetzt hat, als es dringend notwendig gewesen wäre. Die Bilder vom Tsunami Ende 2004 hatten sehr viel schneller eine beispiellose Welle der Hilfe rund um die Welt in Gang gesetzt. Bei Pakistan war das jetzt nicht der Fall.

Wie stehen Sie zu der Zurückhaltung gegenüber Pakistan?

Töpfer: Das lässt uns befürchten, dass die zweite Welle der Katastrophe noch schlimmer wird als die erste. Durch das Fehlen von sauberem Trinkwasser, von Ernährung, Medikamenten und einigermaßen geschützten Unterkünften könnten noch mehr Menschen zu Schaden oder zu Tode kommen als unmittelbar durch die Fluten.

Was sagen Sie den Deutschen, die beim Spenden zögern?

Töpfer: Nehmen wir Pakistan als einen Prüfstein für unsere Solidarität! Sagen wir nicht: Dort ist möglicherweise eine korrupte Regierung, und das Geld geht in die falschen Kanäle, oder dort es wird für Terrorismus missbraucht. Die Hilfsorganisationen, gerade die aus Deutschland, gewährleisten, dass das Geld wirklich zu den Menschen kommt, weil sie vor Ort mit verlässlichen Partnern zusammenarbeiten.

Sie sprechen bei der Flut von einer sogenannten Naturkatastrophe. Was meinen Sie damit?

Töpfer: Die Unterscheidung zwischen Naturkatastrophe und menschengemachter Katastrophe wird immer fließender. Wir wissen, dass wir durch menschliches Verhalten das Klima beeinflussen und verändern. Wir greifen in die Natur ein, indem wir Flüsse ausbauen und begradigen. Ein Naturereignis hat dann ganz andere Auswirkungen. Die gewaltigen sintflutartigen Regenfälle in Pakistan sind von der Natur verursacht, aber sie werden in ihrer Wirkung und Intensität zunehmend durch menschliches Tun beeinflusst.

Gibt es in Pakistan konkrete Hinweise auf menschliche Fehler?

Töpfer: Wie man hört, sind Deiche und Dämme nicht so verstärkt worden, wie es hätte getan werden sollen. Es heißt, dass Geld in falsche Kanäle geflossen ist. Offenbar sind auch Brücken gebaut worden mit schlechtem Material, die einfach weggespült wurden. Im Nordosten Pakistans, also im Swat-Tal aber auch in der Khyber-Region, ist auch die Unterentwicklung am stärksten.

Das heißt, mehr Menschen kamen zu Schaden, weil die Infrastruktur dort schlecht ist?

Töpfer: Da gibt es einen ganz direkten Zusammenhang. Soforthilfe ist zwingend, reicht aber nicht aus. Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass die Nahrungsmittelversorgung Pakistans eine Herausforderung wird. Die Kornkammer Punjab ist massiv überflutet. Die Schäden in der Landwirtschaft werden dramatisch sein - und das in einer Zeit, wo etwa durch die Feuerkatastrophe in Russland ein weiterer großer Anbieter von Getreide auf dem Weltmarkt größere Ausfälle hat. Die Wirkung auf die Nahrungsmittelpreise und die Versorgung macht uns große Sorgen.

Dauerhitze in Russland, Kältewelle in Südamerika und Jahrhundertflut in Pakistan: Sind das die Vorboten des Klimawandels?

Töpfer: Ich bin immer sehr vorsichtig mit einer eindimensionalen Erklärung. Wir sehen weltweit, dass die Ereignisse die Berechnungen und wissenschaftlichen Prognosen der Klimaforscher bestätigen. Das ist zwar immer noch kein Beweis, aber es steht ganz eindeutig mit dem im Einklang, was Wissenschaftler uns vorhergesagt haben, etwa zu den Folgen der Treibhausgase auf das Klima.

Müssen wir also häufiger damit rechnen, dass das Wetter verrückt spielt?

Töpfer: Ich glaube, dass menschliches Tun dazu führt, dass wir solche Wetter-Extreme, in welcher Form auch immer, häufiger haben werden. Daher ist es absolut notwendig, sich weltweit besser auf solche Vorkommnisse einzustellen, aber auch den Klimawandel energisch zu bekämpfen.

epd