"Nacht vor Augen", 16. August, 22.45 Uhr im Ersten
Vordergründig erinnert die Geschichte auffallend an einen anderen Film, der ebenfalls vom SWR stammt. Brigitte Maria Bertele erzählt mit ihrem Erstlingsfilm "Nacht vor Augen" (Buch: Johanna Stuttmann) fast exakt die gleiche Geschichte wie Andreas Senn mit "Willkommen zuhause": Ein Soldat kommt traumatisiert in den Schwarzwald zurück, will nicht wahrhaben, dass er eine Gefahr für seine Umwelt und sich selbst darstellt, schlägt alle Warnungen in den Wind und entwickelt sich zur wandelnden Zeitbombe.
Die beiden Absolventinnen der Ludwigsburger Filmakademie konzentrieren sich ganz auf David, einen durchtrainierten attraktiven jungen Mann, den scheinbar nichts erschüttern kann. Im Gegenteil: Nach einem Zwischenfall in Afghanistan wurde ihm sogar eine Medaille verliehen, weil er 22 Menschen das Leben gerettet hat. Trotzdem hat ihn das Erlebnis sichtbar aus der Bahn geworfen. Den Verführungskünsten seiner hübschen Freundin (Petra Schmidt-Schaller) kann er nichts abgewinnen, schon Kleinigkeiten wecken seinen Jähzorn, und immer wieder wacht er auf, weil er ins Bett gepinkelt hat. Ausgerechnet sein acht Jahre alter Halbbruder bringt dunkelste Seiten zum Vorschein: Weil der kleine Benni (großartig geführt: Jona Ruggaber) im Fußball ein Weichei ist und von seinen Mitschülern gemobbt wird, will David einen harten Kerl aus dem Jungen machen. Er soll lernen, wie man „Frieden für immer“ stiftet („Enduring Freedom“ heißt die Militäraktion im Rahmen des amerikanischen Kampfes gegen den Terrorismus). Beim Fußballtraining lässt er Benni immer wieder seine Wut spüren. Dann stiftet er ihn an, sein schwerverletztes Kaninchen mit einem Stein zu erschlagen; und schließlich drückt er ihm eine geladene Pistole in die Hand.
Hanno Koffler legt die Darstellung des traumatisierten Soldaten völlig anders an als Ken Duken seine ganz ähnliche Rolle in "Willkommen zuhause", verkörpert die psychischen Schäden aber nicht minder eindringlich. Auch Bertele und Stuttmann enthüllen in ihrem mit überschaubarem optischen Aufwand und entsprechend langen Einstellungen inszenierten Film erst nach und nach, was wirklich in Afghanistan passiert ist. Die Spiegelung des Traumas in dem kleinen Jungen hingegen ist ein dramaturgisch höchst bedeutsamer Unterschied; und die Erkenntnis, dass die Auszeichnung für David, der in der Lokalpresse als Held gefeiert wird, der pure Hohn ist, eine bittere Auflösung.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).