"Polizeiruf 110: Risiko", 15. August, 20.15 Uhr im Ersten
Wer auch immer die Idee hatte, die beiden doch etwas in die Jahre gekommenen "Polizeiruf 110"-Ermittler aus Halle um eine deutlich jüngere Kollegin zu ergänzen: Nicht nur der MDR ist ihm (oder ihr) zu Dank verpflichtet. Im zweiten Einsatz für Isabell Gerschke als Oberkommissarin Nora Lindner wird dies womöglich noch deutlicher als im ersten Fall ("Blutiges Geld"). Das durch Regisseur Thorsten Schmidt bearbeitete Drehbuch von Xao Seffcheque und Jürgen Starbatty spitzt die Konflikte zwischen Platzhirsch Schmücke (Jaecki Schwarz) und der "Neuen" noch zu, weil gleich in mehrfacher Hinsicht Welten aufeinanderprallen. Lindner ist dem Vorgesetzten Schmücke nicht nur weit überlegen, was den Umgang mit technischen Hilfsmitteln angeht; der Generationenkonflikt eskaliert außerdem zum Geschlechterkrieg.
Schon allein diese Ebene des Films ist sehenswert, doch Seffcheque, Starbatty und Schmidt erzählen auch einen reizvollen Krimi: In einem stillgelegten Stollen im Harz wird die Leiche einer Schülerin gefunden. Die aus Sicht des konservativen Schmücke auffällig aufreizend gekleidete junge Frau hatte am Abend zuvor in einem Tennisclub gearbeitet und war anschließend verschwunden. Da die Festplatte der Überwachungskamera entwendet worden ist, hat ihr offenbar jemand vor dem Club aufgelauert. Nadine Iwanowski war eng mit zwei Jungs befreundet, die drei bildeten eine verschworene Gemeinschaft. Allerdings stellt sich raus, dass die Freundschaft zu einem der beiden inniger war, als der andere ahnte: Nadine war schwanger.
Natürlich sind die drei Ermittler (Wolfgang Winkler als dritter im Bunde) die Hauptfiguren, aber gerade die Darsteller der beiden jungen Männer (Tim Oliver Schultz, Daniel Axt) tragen einen Großteil der Handlung: Sie sind gleichzeitig Trauernde und Tatverdächtige. Entsprechend oft müssen sie in Nahaufnahme Emotionen wie Trauer und Erschütterung zeigen, eine Herausforderung, die selbst erfahrenere Schauspieler nicht immer meistern. Unter Schmidts Führung gelingt ihnen das allerdings sehr gut. Für die beiden alten Hasen und ihre junge Kollegin gilt das nicht minder. Die Nebenfiguren sind zudem erstklassig besetzt, so dass die Eltern des Mädchens (Marita Marschall, Thorsten Merten) ebenso rasch Profil gewinnen wie die beiden Hauptfiguren einer dritten Erzählebene: Die Iwanowskis sind von einem offenbar unseriösen Finanzberater (Hannes Hellmann) wegen eines Kredits an den Filialleiter (Stephan Großmann) einer örtlichen Bank vermittelt worden. Der Kredit, das neue Haus, dazu noch eine windige Geldanlage: Nadines Eltern stehen vor dem Ruin. Wie das alles zusammenpasst, warum sich der Fall als abgekartetes Spiel entpuppt und wer dessen Drahtzieher sind: Das erzählen Seffcheque, Starbatty und Schmidt in einem richtig guten Krimi. Die "Polizeiruf"-Beiträge aus Halle waren schon mal deutlich weniger spannend.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).