Mir reichen ein Stadtplan und ein Navigationsgerät
Warum die Rente mit 67 oder sogar mit 70 ein simples Rechenexempel ist, Googles Street View gegen persönliche Erfahrungsberichte ziemlich abstinkt und Bundespräsident Wulff zurecht Brötchen aus Hannover bekommt: Jede Woche stellt evangelisch.de drei Fragen an Ernst Elitz.
13.08.2010
Die Fragen stellte Bernd Buchner

evangelisch.de: Die SPD stellt die Rente mit 67 wieder in Frage, während wirtschaftsnahe Fachleute von einer weiteren Erhöhung des Renteneintrittsalters ausgehen. Ja was denn nun?

Ernst Elitz: Ganz klar, Rente mit 67, wahrscheinlich sogar mit 70. Das ist ein simples Rechenexempel. Wenn früher der Arbeiter körperlich ausgezehrt gerade noch ein paar Jahre seine Rente bezog, kassiert der Rentner heute zehn, demnächst vielleicht zwanzig Jahre sein Ruhegeld. Wer soll das bezahlen? Absehbar ist, dass demnächst ein Beitragszahler zwei Rentenbezieher versorgen muss. Das ist ein unfaires Spiel mit der jungen Generation. Seit Jahrzehnten predigen Bildungsforscher – und Bildungspolitiker sprechen es nach - , dass jeder in einer dynamischen Arbeitswelt ständig neue Fertigkeiten und Kenntnisse erwerben muss. Dazu hat die Generation, die 2031 mit 67 in Rente geht, noch ziemlich viel Zeit. Vorher tritt diese Regel gar nicht voll in Kraft. Und die Unternehmen, die als Folge der miserablen Schulpolitik einen Teil der jugendlichen Bewerber zurückweisen müssen, werden viel eher auf verlässliche ältere Arbeitskräfte zurückgreifen. Wer jetzt gegen die Rente mit 67 polemisiert, geht noch hinter Adenauers Starrsinns-Parole "Keine Experimente" zurück. Er verspricht den Bürgern wider besseren Wissens: "Alles wird wieder so, wie es war!" Diese Rechnung geht nicht auf.

evangelisch.de: Google fährt durch die Straßen und fotografiert Häuser und Menschen ab. Der Aufschrei der Datenschützer bleibt nicht aus. Ist das zeitgemäß in einer Zeit, in der alle alles öffentlich machen?

Ernst Elitz: Der Schutz der Privatheit ist immer zeitgemäß. Und die Wohnung gehört zur Privatsphäre des Bürgers. Wer will, kann jedem eine Ansichtskarte von seinem Häuschen schicken oder in Facebook mit seiner Villa protzen. Diesen Neidkocher will aber nicht jeder befeuern. Die genauen Anfahrtswege und Zugänge, die Streetview abbildet und die Rückschlüsse auf die Bewohner sind eine Einladung an Einbrecherbanden. Mir reicht ein Stadtplan und ein Navigationsgerät, um mich zurecht zu finden. Die Argumentation der Google-Sprecherin neulich im Deutschlandfunk, mit Streetview könne man überprüfen, ob das Urlaubshotel tatsächlich direkten Zugang zum Sandstrand habe, ist lächerlich. Wer dem Prospekt nicht glaubt, kann im Internet genügend Hinweise von Ex-Gästen finden, die ihn darüber und über anderes Wissenswerte informieren. Gegen diese persönlichen Erfahrungsberichte stinkt Streetview ziemlich ab.

evangelisch.de: Bundespräsident Wulff lässt seine Brötchen in Hannover backen und in die Hauptstadt einfliegen. Warum gibt er sich nicht mit der guten alten Schrippe zufrieden?

Ernst Elitz: Die Schrippen-Story ist längst im Sommerloch versenkt. Selbst wenn Wulff morgens frische Brötchen frühstückt – was wir ihm und seiner Familie von Herzen gönnen – sind die nicht aus Hannover. Diesen Brötchenkurier gibt es nicht. Lediglich die Küche des Bundespräsidialamts, die verpflichtet ist, sich aus allen deutschen Landen zu bedienen, bestellt gelegentlich auch bei Bäcker Gaues aus Hannover. Und das schon zu Zeiten, als der Oppositionspolitiker Wulff noch vergeblich am Tor der niedersächsischen Staatskanzlei kratzte. Warum also die Aufregung? Weil Berlin eine bornierte Provinzstadt ist, deren Bäcker sich nicht vorstellen können, dass auch außerhalb ihrer Stadtgrenzen schmackhaftes Backwerk produziert wird. Der Urberliner wundert sich bekanntlich auch, wenn er in München eine Schrippe verlangt und eine Semmel bekommt. Die Falschmeldung war eine Klatsche für die Schrippen-Berliner.


Prof. Ernst Elitz, Jahrgang 1941, lebt als freier Publizist in Berlin. Nach seinem Studium der Germanistik, Theaterwissenschaften, Politik und Philosophie kam er über Stationen wie den "Spiegel" und das öffentlich-rechtliche Fernsehen zum Deutschlandradio, das er als Gründungsintendant von 1994 bis 2009 leitete. Alle seine Drei-Fragen-Kolumnen finden Sie hier auf einen Blick.