Zwei nuklear verseuchte Gebiete stehen derzeit im Mittelpunkt des Interesses: Neben der Wiederaufbereitungsanlage Majak, die übrigens immer noch in Betrieb ist, steht auch die Sperrzone im Bezirk Brjansk unter Beobachtung. Majak war 1957 der Schauplatz der ersten großen Atom-Katastrophe in Russland, der Bezirk Brjansk wurde an der Grenze zu Weißrussland durch den Super-GAU im Kraftwerk Tschernobyl 1986 verstrahlt.
Die Gegend um Majak gilt heute als eine der verstrahltesten Gegenden der Welt, sagt Christoph von Lieven, Atomexperte bei Greenpeace: "Bis heute liegt viel radioaktives Material in der Umgebung der Atomanlage. Damals hat man viel von dem kontaminierten Material einfach in einem See in der Nähe versenkt." Am 29. September 1957 war in der Anlage im Ort Kysthym einer von insgesamt 20 Lagerbehältern mit hochradioaktiver Abfallflüssigkeit explodiert. Der Abfall, hauptsächlich Caesium-137 und Strontium-90, stammte aus der Produktion von Plutonium für den Bau russischer Atombomben. Nach Greenpeace-Angaben ist die Gegend auch mit Plutonium belastet.
In der Region Brjansk ist besonders der Ort Nowosybkow an der Grenze zu Weißrussland gefährdet, der dicht an der Sperrzone liegt, die nach dem Tschernobyl-Unfall 1986 eingerichtet wurde. Die Befürchtung von Umweltschützern ist, dass die Brände die radioaktiven Partikel aufwirbeln und weiterverteilen oder das Löschwasser sie ins Grundwasser spült. Zurzeit sind Cäsium-137 und Strontium-90 im Torfboden gebunden, drei bis zehn Zentimenter unter der Oberfläche und damit genau dort, wo der Torfboden brennt. Außerdem haben haben Büsche und Bäume radioaktives Wasser aufgesogen: "Wenn man an so einem Baum vorbeigeht, fängt der Geigerzähler an zu rattern", erklärt Greenpeace-Experte von Lieven, der vergangenes Jahr selbst in der Gegend um Tschernobyl unterwegs war.
Unklare Gefährdung der Menschen vor Ort
Peter Jacob, Leiter der Arbeitsgruppe Risikoanalyse am Helmholtz-Zentrum München, sieht allerdings keine kurzfristige Gefahr: "Für die Leute, die dort wohnen, würde ich Entwarnung geben. Die Gefahr, die dort durch Radioaktivität auftritt, dürfte sehr gering sein, weil das Cäsium überwiegend über die Nahrungskette wirkt. Das Einatmen selber spielt nicht so eine große Rolle."
Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa beschreibt Jacob vor allem, dass radioaktives Cäsium auf bisher nicht kontaminierten Feldern und Äcker landen könne. Sperren müsse man solche neu belasteten landwirtschaftlichen Flächen trotzdem nicht: "Man kann den Boden auch einfach umpflügen, dann ist es in tieferen Bodenschichten. Im Notfall müsste man kontaminierten Boden abtragen. Aber das kann erst im Ernstfall entschieden werden."
Greenpeace sieht hingegen durchaus eine Gefahr für die Bewohner und besonders die Feuerwehrleute, die die radioaktiven Brände ohne Atemschutz bekämpfen: "Eigentlich wird kein großer Unterschied gemacht bei der Inkorporierung", meint von Lieven - ob man die radioaktiven Partikel nun einatmet oder isst, im Körper sind sie so oder so.
Aus Russland gibt es keine Messungen
Auch Wladimir Tschuprow, Atomexperte bei Greenpeace Russland, warnt davor, die radioaktive Gefahr herunterzuspielen: "Die erhöhte radioaktive Strahlung wird zwar nicht zu einer neuen Belastung wie bei Tschernobyl führen, trotzdem sollten kleinere radioaktive Mengen nicht unterschätzt werden. Bislang ist noch nicht untersucht worden, wie gefährlich das Zusammenspiel von giftigem Smog von den Wald- und Torfbränden und radioaktiver Strahlung ist."
Die Folgen von Verstrahlung sind nach den Atombombenabwürfen von Hiroshima und Nagasaki und dem Tschernobyl-Unfall gut erforscht. Radioaktive Strahlung schädigt die Zellen, ganz besonders, wenn strahlende Partikel über Atemwege oder die Nahrung in den Körper gelangen. Sie kann Organe angreifen, zu Blindheit führen, Verbrennungserscheinungen im Körper auslösen und im schlimmsten Fall Zellwände auflösen, so dass der Betroffene von innen verblutet. Über Spätfolgen streiten sich die Experten noch, Krebs wird jedoch häufig in Verbindung mit Strahlenschäden gebracht.
Wie hoch die Belastung in den Brandgebieten in Russland tatsächlich ist, weiß allerdings noch niemand. Das Risiko für Strahlenkrankheit lässt sich daher nicht exakt einschätzen. "Das ist ein echtes Problem: Es gibt keine Messungen", schildert von Lieven die Situation. Die russische Regierung hat bisher noch keine Zahlen zur radioaktiven Belastung der Brandgebiete veröffentlicht. Internationale Beobachter der Internationalen Atombehörde IAEA sind zum Beispiel rund um Majak nicht zugelassen, Greenpeace fordert daher mehr Transparenz von den russischen Behörden.
Strahlenschützer: Keine Gefahr für Deutschland
Einig sind sich alle Experten aber, dass für Deutschland zurzeit noch keine Gefahr besteht. Das Bundesamt für Strahlenschutz schreibt: "Die Brände haben keine radiologische Bedeutung für das restliche Europa und Deutschland, da die Verbreitung der radioaktiven Stoffe vor allem regional begrenzt ist. Das ist auch von früheren Bränden bekannt, die es in der Region bereits gab." In der offiziellen Mitteilung heißt es: "Radiologische Schutzmaßnahmen in Deutschland sind nicht notwendig."
Allerdings: Wenn die Brände nicht unter Kontrolle gebracht werden, sieht Strahlenschutz-Experte von Lieven eine ganz andere Gefahr auf Russland und Europa zukommen: "Alle Atomreaktoren brauchen Kühlung, auch die abgeschalteten." Bei der starken Rauchentwicklung um Atomkraftwerke und nukleare Anlagen, wie in Majak oder in Sarow, könnten aber die Dieselgeneratoren der Kühlanlagen ausfallen, weil sie nicht mehr genug Sauerstoff aus der Luft ziehen. Wenn die Kühlungen versagen, warnt von Lieven, "dann sind wir auch betroffen". Dann droht ganz Europa nach 1986 erneut eine atomare Katastrophe. Die Hoffnung liegt auf den russischen Brandbekämpfern, dass es nicht so weit kommt.
Hanno Terbuyken ist Redakteur bei evangelisch.de, zuständig für die Ressorts Gesellschaft und Umwelt + Wissen, und schreibt das Blog "Angezockt".