TV-Tipp des Tages: "Frei nach Plan" (ARD)
"Frei nach Plan" ist ein etwas nichtssagender Titel für eine eine kurzweilige Dramödie, die vor allem durch die Leistung des Ensembles mit Corinna Harfouch und Christine Schorn imponiert.
11.08.2010
Von Tilmann P. Gangloff

"Frei nach Plan", Mittwoch, 11. August 2010, 20.15 Uhr in der ARD

Mutter geht es schlecht. Sie hat sich gerade die Seele aus dem Leib gekotzt, wirkt jetzt wie achtzig und fühlt sich vermutlich auch so. Da klingt es etwas unglaubwürdig, wenn ihre älteste Tochter sich gar nicht mehr einkriegt, weil "Mutti" angeblich so toll aussieht.

Schon in der ersten Szene des Films machen Elke Rössler (Buch) und Franziska Meletzky (Regie) deutlich, dass sie mit ihrer Geschichte Fassaden niederreißen werden. Bei Iris (Corinna Harfouch) gibt es allerdings nicht mehr viel Fassade. Vor Jahren wurden sie und Mutti gleichzeitig von ihren Gatten verlassen; seither leben sie zusammen. Weil Iris im Gegensatz zu ihrer Mutter Silvia (Christine Schorn) offenbar schon lange keinen Wert mehr auf die äußere Erscheinung legt, könnte man die beiden Frauen glatt für Schwestern halten; und das nicht, weil sich Silvia so blendend gehalten hat.

Buchstäblich einen Steinwurf entfernt wohnt Muttis jüngste Tochter Marianne (Kirsten Block), scheinbar glücklich verheiratet. Doch als Anne (Dagmar Manzel), die Dritte im Bunde, auftaucht, ist es um Mariannes Mann (Robert Gallinowski) geschehen: Er verfällt der flippigen Fünfzigerin mit Haut und Haar. Auch in Annes Leben gibt es eine tiefe Kluft zwischen Schein und Sein: Sie ist als Sängerin zwar ständig unterwegs, kennt die Welt aber nur als Hotelzimmer. Außerdem geht’s mit der Karriere steil bergab; sie ist völlig pleite.

Die besten Voraussetzungen also für ein zünftiges Familienfest. Es bleibt zwar ein Geheimnis, wie alt Silvia wird, aber es muss ein ziemlich runder Geburtstag sein. Selbst ihr Ex-Mann (Otto Mellies) kommt extra angereist, seine Freundin Britta im Schlepptau, die noch jünger ist als seine Jüngste und außerdem unter Narkolepsie leidet: Bei Stress schläft sie vom Fleck weg ein. Das passiert im Verlauf der Handlung häufiger.

Regelrecht hingebungsvoll zertrümmern Meletzky und Rössler das fragile familiäre Glück. Oft genügen ganz kleine Momente, um feine Sprünge zu erzeugen. Diese Haarrisse summieren sich so lange, bis es am Ende zum Eklat kommt; der fällt allerdings völlig anders aus als erwartet. Ohnehin balanciert die Inszenierung geschickt auf einem schmalen Grat: einen Schritt zur falschen Seite, und "Frei nach Plan" (ein etwas nichtssagender Titel) würde zum handfesten Drama. Allerdings versieht die Musik (Elke Hosenfeld, Moritz Denis) den Film von Anfang an mit einem ironischen Tonfall. Auch die Kamera verblüfft immer wieder mal mit ungewöhnlichen Einstellungen, wenn Ngo The Chau beispielsweise gleich zu Beginn mit einem kühnen 360-Grad-Schwenk verdeutlicht, wie eng Mariannes Bindung ans Elternhaus noch ist. Ansonsten aber unterstreicht die Kamera die ruhige Atmosphäre des Films, weil sie nicht inszeniert, sondern bloß beobachtet. Auch die harmonische Inszenierung steht in reizvollem Widerspruch zur Handlung. Gerade die Musik sorgt immer wieder für fließende Übergänge.

So nimmt das Schicksal also seinen Lauf, frei nach Silvias Motto: "Das Leben ist ein Schlund. Passt du nicht auf, zack!, bist du weg"; und so geschieht es auch. Eine kurzweilige Dramödie, die vor allem durch die Leistung des Ensembles imponiert. In einer Hinsicht hat Meletzky allerdings gemogelt: Silvia und ihre verblühte Tochter Iris könnte man nur deshalb für Schwestern halten, weil Christine Schorn gerade mal zehn Jahre älter ist als Corinna Harfouch.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).