Aberglaube: Das psychologische Alltags-Voodoo
Glücksbringer, Amulette, Aberglaube? Die sind ausgemachter Unsinn und haben in unserer modernen Welt nichts verloren, sagen aufgeklärte Zeitgenossen. Auch nicht an einem Freitag, dem 13., wenn eine schwarze Katze mit einem vierblättrigen Kleeblatt im Mund von links nach rechts unter der Leiter eines Schornsteinfegers durchläuft. Eine Kölner Studie hat sich der Wirksamkeit von Aberglauben angenommen - und kommt zu interessanten Ergebnissen.
10.08.2010
Von Ulrich Pontes

Aberglaube gibt es überall, in der Öffentlichkeit sogar manchmal ganz prominent: Den blauen Glückspulli angezogen (Jogi Löw), vor dem Spiel das Pissoir ganz links benutzt (Mario Gomez), das Spielfeld zuerst mit dem rechten Fuß betreten (Miroslav Klose) - wenn dann auch noch der Fan das immergleiche, ungewaschene T-Shirt trug und auf dem richtigen Platz vor dem Fernseher saß, konnte bei der Fußball-WM 2010 eigentlich nichts mehr schiefgehen. Es sei denn, die Orakeleien eines altersweisen Kraken kommen dem Sieg in die Quere. Aber wie ist es wirklich mit den schicksalsbeeinflussenden Ritualen und Symbolen?

Der letzten einschlägigen Repräsentativumfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach (2005) zufolge glauben 42 Prozent der Bundesbürger, dass vierblättrige Kleeblätter Glück bringen - dicht gefolgt von Sternschnuppen und Schornsteinfegern. Als durchweg resistent gegenüber den 20 abgefragten guten und bösen Vorzeichen erwies sich gerade einmal jeder dritte Befragte. Zum Vergleich: 1973 wurde ebenfalls der Klee am häufigsten genannt - allerdings von gerade einmal 26 Prozent der Befragten.

Nun liefert auch noch eine empirisch-psychologische Studie dem Aberglauben Wasser auf die Mühlen - zumindest auf den ersten Blick. Kölner Forscher fanden in dem vermutlich ersten kontrollierten Experiment zum Thema heraus, dass Glücksrituale und Glücksbringer tatsächlich dazu führen können, dass Versuchspersonen besser treffen, geschickter spielen und erfolgreicher Denkaufgaben lösen.

Positive Erwartungshaltung führt zu positiven Resultaten

In der nun im Fachmagazin "Psychological Science" veröffentlichten Studie ließen die Forscher Studenten mit vermeintlichen Glücksbällen Golf spielen, versprachen vor einem Geschicklichkeitstest "Ich drück dir die Daumen" und forderten die Probanden auf, zu Merkübungen und Wortpuzzletests ihren persönlichen Glückbringer mitzubringen. Vergleichsgruppen mussten ohne die vermeintlich übersinnliche Unterstützung auskommen. Sie bekamen die Golfbälle ohne besondere Zuschreibung ausgehändigt, ihnen wurden keine Daumen gedrückt, ihre Glücksbringer wurden ihnen unter einem Vorwand für die Dauer des Tests vorenthalten. Und tatsächlich: Die Vergleichsgruppen schnitten im Mittel deutlich schlechter ab.

Übersinnliche Phänomene waren allerdings nicht am Werk. "Aberglaube ist kein Voodoo. Die Effekte lassen sich psychologisch gut erklären", sagt Barbara Stoberock, eine der Autorinnen der Studie. "Ist ein positiver Aberglaube aktiv, geht die Person die Dinge zuversichtlicher und ausdauernder an." "Selbstwirksamkeitserwartung" heißt der Fachbegriff für dieses leistungssteigernde Selbstvertrauen bezüglich einer konkreten Aufgabe.

Es ist also nicht der Glücksbringer selbst, sondern der (Aber-)Glaube an denselben, der hilft. Wie Personen abschneiden würden, die explizit nicht abergläubisch sind, hat die Studie zudem nicht untersucht. Alles in allem ist die nun bewiesene Wirksamkeit des Aberglaubens also gar kein überraschendes Ergebnis. Der Effekt von Glücksbringern sei einfach eine Variante einer selbsterfüllenden Prophezeiung, meint etwa Hansjörg Hemminger, Weltanschauungsbeauftragter der württembergischen Landeskirche: "Eine positive Erwartungshaltung macht ein positives Resultat wahrscheinlicher." Ähnliche Effekte seien aus der Medizin bekannt.

Vorsicht beim Thema Glücksbringer

Welche Kraft die Einbildung hat und dass psychologische Mechanismen wirken, nicht etwa der Glücksbringer selbst, illustriert auch das tragische Beispiel eines abergläubischen Sportfliegers, das eine Veröffentlichung (Link zum PDF) der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) schildert: Ein aufklärerischer Freund nahm ihm seinen Talisman weg. Der Pilot, stark verunsichert, entschloss sich, trotzdem zu fliegen. Der Freund begleitete ihn zum Flugzeug und steckte ihm den Talisman unbemerkt wieder zu. Der Pilot startete also in der irrigen Annahme, ohne seinen Glücksbringer unterwegs zu sein. Er stürzte ab und verunglückte tödlich.

Vorsicht ist also angesagt beim Thema Glücksbringer. Der Idee einer zweiten an der Kölner Studie beteiligten Forscherin - sie schlägt vor, positiven Aberglauben in Schule und Erziehung gezielt als leistungsfördernden pädagogischen Kniff einzusetzen - mag sich Hemminger deshalb nicht anschließen. Zwar findet er Rituale wie die der DFB-Kicker eher harmlos. Problematisch wird es dem Weltanschauungsbeauftragten zufolge aber, wenn jemand ein echtes Problem hat und Angst bekommt, auf die eingebildete Hilfe verzichten zu müssen. Dann entstehe Abhängigkeit statt Freiheit.

Dies muss nicht gleich lebensgefährlich sein, wie im Beispiel des Sportpiloten. Aber die Abhängigkeit birgt die Gefahr großer Enttäuschungen und kann teuer werden. Denn Okkultschwindler nutzen sie mitunter schamlos aus, um ihre Opfer unter Druck zu setzen und sie zum Kauf von Glücks-Accessoires zu bewegen, die ebenso teuer wie nutzlos sind.

Eine tröstliche und hilfreiche Illusion

Die Psychologie erklärt die Entstehung von Aberglauben aus der Neigung des Menschen, nach ursächlichen Erklärungen zu suchen, wann immer Ereignisse zeitlich zusammentreffen. So meint man auch bei völlig unabhängigen Dingen ("Als ich aufs Klo bin, fiel das Tor") einen inneren Zusammenhang zu entdecken. Damit eine solche Kausalitätsvermutung entsteht, reichen oft schon ein bis zwei Koinzidenzen. Zerstreuen lässt sie sich dagegen viel schwerer, nötig dafür sind viele Gegenbeispiele. Hinzu kommt: Menschen finden es tendenziell bedrohlich, wenn sich für sie bedeutsame Dinge ihrer Kontrolle entziehen. Der Aberglaube suggeriert dagegen, man könne eben doch Einfluss nehmen. Er bietet also eine tröstliche - und, was die eigene Leistungsfähigkeit angeht, eben tatsächlich auch hilfreiche - Illusion.

Und dann ist da noch die christliche Perspektive. "Theologisch muss man etwas gegen diese mit Hoffnung befrachteten Glücksbringer haben (weniger gegen die Rituale)", schreibt Hemminger. Denn sie träten in Konkurrenz zur Hoffnung auf Gott, seien "vana observantia" - nichtige Versuche, das Schicksal zu bestimmen, das in Gottes Hand liegt. Und EZW-Experte Matthias Pöhlmann stellt die Frage, worauf man sein Leben wirklich bauen wolle. Für ihn bringt letztlich ein altes Luther-Zitat das wahre Problem aller Formen von Aberglauben auf den Punkt: "Woran du dein Herz hängst, da ist dein Gott."


Ulrich Pontes ist freier Journalist und interessiert sich besonders für Themen im Grenzbereich von Wissenschaft und Weltbild.

Dieser Artikel ist zum ersten Mal am Freitag, 13. August 2010, auf evangelisch.de erschienen.