Shopping für den Ramadan: Es wird nicht nur gefastet
Im Fastenmonat üben sich Muslime tagsüber im Verzicht. Religiöse Einkehr und wohltätige Taten sollen sie Gott näher bringen. Doch nächtliche Schlemmereien und glamouröse TV-Serien rücken den Ramadan in die Nähe eines Konsum-Events.
10.08.2010
Von Gregor Mayer

Im mondänen Einkaufszentrum am Rande der eleganten Kairoer Vorstadt Maadi herrscht Hochbetrieb. Gestresste Familienväter und Mütter mit verstörten Kleinkindern an der Hand schieben bis über den Rand gefüllte Einkaufswagen vor sich her. Fleischregale leeren sich, in den Gängen stapeln sich Angebotswaren - von Makkaroni bis Langkornreis. Ein Kaufhaus-Angestellter steht auf einer Palette und verkündet über ein Megafon: "Butter im Angebot! Butter im Angebot!" An den hektisch biependen Kassen helfen adrette junge Männer in gelben T-Shirts mit der - arabischen und englischen - Aufschrift "Kann ich Ihnen helfen?" beim Verstauen der Einkäufe in Plastiktüten.

Grund für die Hektik: der Fastenmonat Ramadan. Wie es der Glaube vorschreibt, verzichten Muslime von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang aufs Essen, Trinken und Rauchen. Sie lesen öfter im Koran als sonst, besuchen häufiger die Moscheen und spenden für die Armen. Mohammed, der Prophet und Religionsgründer, wollte seine Gefolgschaft mit diesen Regeln zu Disziplin, Spiritualität und sozialer Empathie erziehen.

Pendel schlägt ins andere Extrem

Doch in der modernen Zeit schlägt das Pendel oft ins andere Extrem aus. Das Fastenbrechen (iftar), die Mahlzeit nach Einbruch der Dunkelheit, gerät oft zur üppigen Schlemmerei, mit der Gäste aus dem Familien- und Freundeskreis beeindruckt werden sollen.

Auch Tarik Wasfi (50), Juwelier in der Altstadt Kairos, schiebt zwei schwer beladene Einkaufswagen vor sich her. 40 Kilo Reis und 120 Packungen Nudeln hat er unter anderem erstanden, insgesamt 800 Pfund (107,42 Euro) an der Kasse gelassen. "Im Monat gebe ich höchstens 1.000 Pfund für Lebensmittel aus", sagte er. "Aber im Ramadan ist das Budget nach oben hin offen." Ein Teil der Einkäufe gehe als Spende an die Armen, fügt er schnell hinzu. 40 Prozent der Ägypter leben unter der international festgelegten Armutsgrenze von zwei Dollar am Tag.

Die 36-jährige Hausfrau Sajida Ahmed fällt nicht darunter, obwohl sie rechnen muss. Auch ihr Einkaufswagen ist gut gefüllt, allerdings nur mit Schnäppchen, darunter Riesenmengen an Jamisch, eine Mischung aus getrockneten Früchten, die gerne zum Fastenbrechen angeboten wird. "Die Preise steigen wie verrückt", klagte sie. "Ich kann es mir nicht mehr leisten, Leute einzuladen, und so nehme ich auch keine Einladungen an." Die langen Ramadan-Nächte verbringt sie mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter - und dem Fernsehapparat.

Sender buhlen um die Quoten

Denn neben dem Schlemmen ist das Fernsehen der zweite - und wesentlich preiswertere - Genuss im heiligen Monat. Die arabische TV-Industrie wirft die neuesten Staffeln der beliebtesten Serien auf den Markt. Die großen saudischen und libanesischen Satellitenkanäle buhlen um die Quoten. Manche Sender erwirtschaften da bis zu 40 Prozent ihrer jährlichen Werbeeinnahmen. Heiß erwartet wird dieses Jahr in Ägypten eine neue Serie über das Leben der Königin Nasli Sabri. Sie war die Mutter Faruks I., des letzten ägyptischen König, und Fausias, der ersten Frau des letzten persischen Schahs.

Ärzte warnen vor den ungesunden Folgen des Schlemmens nach Sonnenuntergang. "Sie überessen sich, essen zu spät, verzehren zu viel Süßes, lassen das Frühstück ausfallen und trinken nicht genug", zählte Abdullah Fajjad, Internist am Amerikanischen Spital in der Golfmetropole Dubai, die "Sünden" auf. Sein religionskompatibler Rat: "Genug trinken (in der Nacht), und zwischendurch auch mal Wasser gurgeln, ohne es zu schlucken."

Kaum einer gibt zu, dass er mogelt

Halten sich wirklich alle Muslime an die Vorschriften? Reisende, Kranke, Kinder und Schwangere sind vom Fasten ausgenommen. In säkulareren Ländern wie der Türkei, dem Libanon und Syrien gibt es etliche, die das Fasten als nicht mehr zeitgemäß bezeichnen. In Ägypten hingegen würde es kaum jemand zugeben, dass er "mogelt". In Saudi-Arabien müssen sogar nicht-muslimische Ausländer das Fasten mitmachen.

Mit dem Fortschreiten des Ramadan zehrt die Selbstkasteiung an der Substanz. Auch wenn offiziell meist nicht kürzer gearbeitet wird, wird doch deutlich weniger erledigt. Viele Menschen nehmen ihren Urlaub, doch durchgehalten wird bis zum Ende. Denn der Ramadan hat seine emotional berührenden Seiten, die selbst dem ausländischen Touristen nicht entgehen. Die festliche Stimmung in Städten wie Kairo oder Damaskus, die bunten Dekorationen und Laternen (fanus), die improvisierten Zelte für die Armenspeisungen - es ist ein wenig wie Weihnachten auf orientalisch - und das 30 Tage lang.

dpa