Ramadan: Härtetest für muslimische Amateurkicker
Fast zeitgleich haben die neue Fußballsaison und der Fastenmonat Ramadan begonnen. Gläubige Muslime, die am Ball bleiben wollen, haben es in den nächsten Wochen nicht leicht. Nach den islamischen Regeln dürfen sie von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang nicht einmal Wasser trinken.
10.08.2010
Von Tanja Tricarico

Noch eine halbe Stunde bis Sonnenuntergang. Leise murmelt Enver Karaca einen Koranvers vor sich hin. Immer wieder wiederholt er den Vers während seiner Laufrunden über das Fußballfeld. Er atmet schwer und gleichförmig, der Schweiß perlt ihm von der Stirn. Karaca gibt das Tempo vor. Seine Mannschaftskollegen passen sich seinem Rhythmus an, folgen ihm in Zweierreihen. Dann hebt er die Hand, gibt das Zeichen zur Pause. Es ist Zeit für eine erste Flasche Wasser und die erste Mahlzeit an diesem Tag.

Enver Karaca ist Fußballer und Muslim. Im Ramadan darf er von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang weder Nahrung noch Flüssigkeit zu sich nehmen. Trotz der strengen Fastenregeln trainiert er zwei- bis dreimal pro Woche beim türkischen Amateurclub SV Wiesbaden. "Wir spielen ganz normal weiter im Ramadan", sagt Karaca. "Schließlich wollen wir in der Liga weiterkommen." Bis auf den zweiten Platz der Kreisliga hat seine Mannschaft es bereits geschafft.

Die härtesten Wochen

Im Ramadan durchlaufen Fußballspieler die härtesten Wochen der Fußballsaison. Die meisten Profikicker gönnen sich Ausnahmen. Serdar Tasci fastet nur, wenn der VfB Stuttgart weder spielt noch trainiert. Mesut Özil behilft sich während der Trainingseinheiten bei Werder Bremen mit Wasser und Elektrolyten. Chadli Amri vom 1. FC Kaiserslautern hat sich gegen das Fasten entschieden. Eine sogenannte Fatwa, ein islamisches Rechtsgutachten, erlaubt es den Profispielern, ihr Fasten zu unterbrechen. Schließlich zwingt der Arbeitsvertrag mit dem Verein die Spieler zu einer bestimmten Leistung. Für die Amateurliga gilt diese Regel nicht. Der Ramadan wird zur Bewährungsprobe.

Knapp die Hälfte der Spieler aus Enver Karacas Team beim SV Wiesbaden halten sich an die Regeln im Ramadan. "Dass wir kein Wasser trinken dürfen, ist ein Problem", sagt Karaca. "Wir sind viel weniger leistungsbereit." Oft fällt es ihm schwer, sich zu konzentrieren. Im Ramadan ist er viel häufiger von Muskelkrämpfen im Oberschenkel geplagt. Dennoch hat Karaca noch nie auf eines der Sonntagsspiele verzichtet. Dafür sind ihm die Liga und das Team zu wichtig. So wichtig wie der Glaube.

Sportmediziner warnen vor Risiken

Der Bochumer Sportmediziner und ehemalige Mannschaftsarzt vom VfL Bochum, Joachim Schubert, hält die Regeln des Ramadan und den geforderten Leistungseinsatz im Spitzenfußball für nicht vereinbar. Kreislaufprobleme, Magen-Darm-Beschwerden oder Beeinträchtigungen der Nierenfunktion: "Die gesundheitlichen Risiken sind groß", sagt Schubert.

Das weiß auch Hakan Isiktas, Trainer beim türkischen Fußballverein TFC Köln. Während der Übungseinheiten beobachtet er konzentriert jede einzelne Bewegung seiner Spieler auf dem Platz. Isiktas entgeht nichts. Kein Muskelkrampf, keine Laufschwäche, kein verspäteter Pass. "Es ist dumm zu fasten, wenn man richtig Fußball spielen will", sagt Isiktas. Er selbst kickt seit 30 Jahren. Als gläubiger Muslim hat er den Ramadan immer mitgemacht. Und entweder gelitten oder bei den Spielen ausgesetzt. "Glaube und Sport, das sind zwei unterschiedliche Sachen", sagt der 44-Jährige.

Jüngere haben weniger Interesse

Isiktas trainiert heute die A-Mannschaft des Vereins in der Kreisliga. Konditionstraining, Laufeinheiten oder Abspielübungen: Bei Isiktas müssen alle Spieler das komplette Programm durchziehen. Ausnahmen macht er keine. "Die 18- bis 25-Jährigen interessiert der Ramadan nicht mehr so wie früher", sagt er. Die Spieler, die trotzdem bis Sonnenuntergang fasten wollen und auf jegliche Flüssigkeit verzichten, sollen selbst entscheiden, wann sie ihre Leistungsgrenze erreichen.

Fasten und Beten haben eine starke Wirkung auf die Psyche. Trotz Mangel an Energie erleben viele Spieler Höhenflüge während des Ramadans. "Der Widerspruch zwischen gefühlter und tatsächlicher Leistungsstärke ist erheblich", sagt Sportmediziner Schubert. Viele Spieler überschätzen sich, das Verletzungsrisiko steigt.

Nur der Aufstieg zählt

Hakan Isiktas vom TFC Köln hat nur ein einziges Mal erlebt, dass ein Spieler während des Ramadan vom Platz getragen werden musste. Nach zehn Minuten Spielzeit brach der Stürmer das Spiel ab und verfolgte den Rest der Partie von der Bank aus. Trainer Isiktas überlegt sich lange, wen er im Spiel einsetzt und ob die Spieler, die fasten, fit genug sind. Auch wenn das nicht immer allen Mannschaftskollegen gefällt. "Natürlich verursacht das Probleme und Konflikte denjenigen gegenüber, die den Ramadan nicht leben", sagt Isiktas. "Doch weder Politik noch Religion haben auf dem Spielfeld etwas zu suchen." Denn auch im Ramadan zählt für ihn nur eins: Der Fußball. Und der Aufstieg in der Kreisliga.

epd