Eiseneimer, Handschuhe, Schutzmasken, aber auch Medikamente, Trinkwasser und saubere Kleidung - wegen der schweren Brandkatastrophe in Russland fehlt es inzwischen an allem. Viele Bürger warten noch immer auf die vom Staat versprochene Hilfe. Deshalb organisiert in der von giftigem Smog überlagerten Hauptstadt Moskau etwa die Ärztin Lisa Glinka über das Internet und ein kleines Lager humanitäre Hilfe. Auch im neuen Blog pozar_ru verabreden sich spontan Helfer - das Riesenreich erlebt eine beispiellose Welle der Solidarität der Menschen untereinander.
In der Pjatnizkaja-Straße 17 in Moskau laden Dutzende Menschen Säcke mit Decken und Unterwäsche ab. Sie bringen Spaten vorbei, aber auch Sägen und Äxte für die Aufräumarbeiten in den abgebrannten Dörfern. Das kleine Kellerlager der Ärztin Lisa füllt sich rasch.
In ihrem Blog doctor-liza.livejournal.com (auf Russisch) finden Freiwillige schnell, was gebraucht wird: vom Beruhigungsmittel und Blutdrucksenker über Windeln bis hin zu kühlen Zimmern. Die resolute Medizinerin, die sich mit ihrer Stiftung "Gerechte Hilfe" schon lange für Notleidende einsetzt, veröffentlicht auch Danksagungen der Bürger. Bisher hat karitative Hilfe in Russland wenig Tradition.
Helfer, Kleidung, Essen - es mangelt an vielem
Obwohl die Moskauer alle selbst unter dem giftigen Smog leiden, kommen sie hier vorbei, um denjenigen zu helfen, denen es noch schlechter geht. "Ich las im Internet von der Hilfe und musste einfach was tun", sagt die 29-jährige Katja, die als Büromanagerin bei einer westlichen Firma arbeitet. Sie hat für 100 Euro Wäsche und Werkzeuge gekauft. Viele andere Helfer bieten Fahrdienste an. An zwei Computern verwalten Lisas Mitarbeiter Angebot und Nachfrage.
"Wir brauchen freiwillige Helfer, Kleidung und Essen", lautet ein Eintrag bei dem Blog pozar_ru. Alle Sachspenden seien willkommen. Je stärker die organisierte Selbsthilfe in Russland wird, desto größer wird aber andererseits der Frust der Menschen über ihre Behörden. Medien kritisieren die Unfähigkeit der Beamten. Diese kümmerten sich weiter nur um sich selbst - statt um die Folgen der Brände. Zwar spenden inzwischen Kremlchef Dmitri Medwedew und auch andere hohe Staatsfunktionäre jeweils ein paar Tausend Euro für die Opfer.
Doch in der korrupten Bürokratie in Russland haben die Menschen stets ihre Zweifel, ob das Geld bei ihnen tatsächlich ankommt. In Russland regierten das "Chaos und der Alptraum", kommentiert der Schriftsteller Sachar Prilepin in der kremlkritischen Zeitung "Nowaja Gaseta" (Montag). "Bei einer solchen von Menschenhand gemachten Sauerei ist es ein Wunder, dass noch nicht das ganze Land abgebrannt ist", schreibt er. In der Zeitung "Kommersant" beklagen Augenzeugen, dass die Behörden die Lage sich noch schön redeten.
Behörden geben höhere Todesrate zu
Moskauer Ärzte hingegen berichten etwa, dass sie nur noch Notoperationen erledigen könnten. Es gebe ein Verbot, ältere Menschen zu behandeln. Die Krankenhäuser seien überfüllt. Die Zahl der Notfälle auf den Kinderstationen sei um etwa 20 Prozent angestiegen, heißt es. Außerdem versuchen viele Moskauer aus Angst um ihre Gesundheit weiter, vor dem Smog zu flüchten - und finden etwa in klimatisierten Einkaufszentren Gelegenheit zum Durchatmen.
Der Chef des russischen Wetterdienstes, Alexander Frolow, sprach am Montag von einer "ernsten Gesundheitsgefahr" wegen der Schadstoffe in der Luft. Die schlimmste Hitze seit "1000 Jahren" verschärfe die Situation noch. Erstmals räumten die Behörden nach tagelanger Kritik an ihrem Schweigen auch ein, dass Hitze und Smog die Todesrate in Moskau explosionsartig um das Doppelte ansteigen liessen. Täglich sterben in der mit mehr als zehn Millionen Einwohnern größten Stadt Europas mehr als 700 Menschen an den Folgen der Gluthitze.
Doch die Verhängung des Ausnahmezustandes in Moskau - wie in vielen anderen Regionen des Riesenreichs - lehnen die Behörden weiter ausdrücklich ab. Die Lage sei unter Kontrolle, heißt es.