Roberto Diaz schnellt aus seinem Plastikstuhl hoch, den er vor seinem Souvenirladen im Schatten aufgestellt hat. "Hello my friend. You can look inside please. See my pictures. Special price for you", ruft er einer Gruppe Touristen zu. Die schlurft in Badelatschen freundlich nickend an ihm vorbei, eingehüllt in ihre Strandtücher. "Welcom to Dominican Republic", schickt Rpberto ihnen noch hinterher. Dann lässt er sich wieder in seinen Stuhl fallen. Routine für den Dominikaner. Täglich spricht er mehrere Dutzend Touristen an, um seine Gemälde zu verkaufen.
Palmen säumen die Strandpromenade von Dominicus an der Punta Cana, einem der Touristengebiete der Dominikanischen Republik. Nicht nur Roberto verkauft hier karibische Malereien, Zigarren und Rum. Ein Souvenirladen reiht sich an den nächsten. Dazwischen Bars, Salons und Restaurants. Der Duft von Kaffee, Mango, Ananas, Fisch und Pastagerichten mischt sich mit der schwülen, salzigen Meeresluft. Bachata-Musik schallt aus allen Richtungen. Touristen schlendern den Weg zwischen den Läden, den Hotelanlagen und dem Strand entlang. Die Souvenirverkäufer sitzen davor, telefonieren, spielen Domino, diskutieren lautstark oder trinken Kaffee.
Mit Hoffnung in die Touristenzentren
Ein idyllisches Bild, vor allem für die Urlauber. In den Köpfen der Dominkaner sieht es trotz ihrer fröhlichen Gemüter nicht immer heiter aus. Sozialversicherung oder dergleichen gibt es nicht. Wenn sie den Job verlieren oder nicht verkaufen, gibt es kein Geld. Also auch nicht für Miete oder Essen für ihre Kinder und Familien. Und dennoch treibt die Hoffnung auf wenigstens etwas Geld – und die noch größere Hoffnung, das Land verlassen zu können – viele aus der Hauptstadt und den kleineren Dörfern im Landesinneren in die Touristenzentren.
"Es gibt drei Gründe, warum die Leute hier in Hotels arbeiten wollen", erklärt Roberto Diaz und streckt zum Aufzählen seinen Daumen in die Luft. "Miete muss man keine zahlen, weil man ja im Hotel schläft. Auch für Essen und Trinken muss man nichts ausgeben, denn im Hotel wird man versorgt, noch dazu mit dem guten Touristenessen. Und der dritte und meist wichtigste Grund , warum die Leute in den Hotels arbeiten, ist, dass man europäische oder amerikanische Frauen oder Männer kennenlernt und man die Hoffnung hat, dass die einen mitnehmen, raus aus der Dominikanischen Republik."
Auch der 34-jährige Familienvater Roberto Diaz zog aus diesen Gründen vor acht Jahren aus seiner Heimatstadt Santo Domingo in den kleinen Ferienort Bayahibe, der direkt neben Dominicus liegt. Schon vorher hatte er vier Jahre lang in Hotels der Hauptstadt gearbeitet.
Versuch in Italien scheiterte
"Damals war ich ein richtiger Sanky Panky", lacht er. Sanky Panky, so nennt man die Dominikaner, diejenigen Männer oder Frauen, die versuchen, sich mit ausländischen Touristen zu liieren, um mit ihnen durch Eheschließungen oder Einladungen ins Ausland zu kommen. Denn als Dominikaner auf eine andere Art und Weise an ein Visum zukommen, ist so gut wie unmöglich. Jedenfalls für einen Durchschnittsdominikaner wie Roberto. Auch er hat das schon mitgemacht. Er war "draußen". In Italien, das war 2001, für einen Monat. "Ich war wirklich verliebt in sie", beteuert Roberto. "Es hat nicht geklappt, ich komme mit dem europäischen Leben nicht klar. Ich schätze mein Leben hier, auch wenn es nicht immer einfach ist."
Als Roberto (Bild links, Foto: Kathi Haid) noch als Animateur im Hotel arbeitete, hatte er keinerlei Freizeit. Morgens musste er ab 8 Uhr im Restaurant helfen, über Mittag hatte er eine Stunde frei. Am Nachmittag begannen die Animationen für die Touristen. "Vor dem Abendessen hatte man nochmal Zeit, sich zu duschen. Dann kam die Show für die Touristen, und danach musste ich entweder für die Show üben, wenn wir eine neue einstudierten, oder ich musste mit den Touristen in die Disko gehen. Wenn man zweimal nicht hingegangen ist, war man weg", erinnert er sich. Und bei den nächtlichen Diskobesuchen konnte es dann schon mal fünf Uhr morgens werden.
500 Pesos bekam er dort alle 15 Tage, umgerechnet sind das etwa 120 Euro für das Leben im goldenen Käfig. Als er im Hotel arbeitete, sahen er und seine Kollegen jeden Tag den Luxus, in dem die Touristen dort lebten. Viele seiner Kollegen machte das wütend oder neidisch. Sie wünschten sich, auch so leben zu können. Roberto dagegen machte es traurig. "Wenn ich rein ging abends zum Büffet, und all diese Speisen sah, dachte ich einfach nur an meine Familie, weil ich wusste, dass viele von ihnen kein Abendessen hatten."
Durchschnittsgehalt bei 800 Euro
Doch als seine Freundin schwanger wurde, gab er seinen Hoteljob auf. Er brauchte mehr Geld für seine Familie und vor allem mehr Zeit. Seit drei Jahren arbeitet er nun schon als Verkäufer in dem Souvenirladen. Er bekommt 30 Prozent des Umsatzes, im Durchschnitt umgerechnet 800 Euro im Monat. Das ist ein gutes Gehalt für dominikanische Verhältnisse. 250 Euro würde er in einem Hotel oder in der Hauptstadt verdienen. So arbeitet er von 8 bis 22 Uhr mit einer zweistündigen Mittagspause, die er zu Hause verbringt. Auch am Abend hat er Zeit für seine Familie. "Natürlich ist es anstrengend, aber da muss man halt durch", sagt er.
Es ist ein Uhr mittags, Roberto fährt nach Hause. Geschlossen wird das Geschäft nicht. Zwei seiner Arbeiter übernehmen für ihn die Aufsicht und essen im Laden. Auf seinem Moped, das er von Touristen geschenkt bekommen hat, sind es nur fünf Minuten bis ins Nachbardorf Bayahibe, wo Roberto mit seiner Familie wohnt. In einer Wellblechhütte lebt er mit seiner Freundin Raquel, seinem Bruder Ariel, und seinen zwei leiblichen Kindern Chiara und Perkania sowie zwei Adoptivkindern, Peluche und Carolina. Die Mieten in Bayahibe sind sehr hoch, auch für eine Wellblechhütte. Um die 400 Euro kostet dort schon alleine ein Zimmer. Aber Roberto hatte Glück und gute Beziehungen. Sein Chef weiß, was er an ihm hat, schätzt seine Ehrlichkeit und besorgte ihm die große Hütte für eine relativ niedrige Miete.
Als er vorfährt, warten seine Kinder schon ungeduldig auf der Veranda, um mit ihm zu essen. Seine Frau Raquel hat Reis, Bohnen und Fleisch gekocht. Typisch dominikanisch. Es ist leicht schummrig in der Hütte, die Essensdämpfe durchdringen die Wohnküche, den größten Raum. Daneben gibt es noch drei Schlaf- und ein Badezimmer. Ein Ziegenbaby wackelt vom Kinderzimmer in die Küche. Dort wartet schon eines der Kinder mit der Milchflasche auf das Zicklein. "Papa, darf ich heute Nachmittag mitkommen?", fragt die elfjährige Carolina. Sie und ihr Bruder Peluche (übersetzt: Kuscheltier) stammen aus der ersten Beziehung ihrer Mutter. "Ja, mi amor, aber mach dich ein bisschen zurecht", antwortet Roberto.
Familie legt Wert auf Erscheinungsbild
Robertos Freundin Raquel sitzt mit ausgestreckten Beinen auf einem Küchenstuhl und krault mit einer Hand den Kopf des Haushundes Donky. "Ich brauche Geld, kannst du mir 500 Pesos geben? Ich muss Perkania neue Zöpfe flechten lassen und mir auch", sagt sie zu Roberto. Das Erscheinungsbild wiegt viel in der Dominikanischen Republik. Doch das Geld ist immer knapp. Kleider, Essen, Miete, Telefon und seine kranke Mutter in der Hauptstadt – für alles muss der 34-jährige Roberto aufkommen. Nach dem Essen legt er sich hin, macht eine kurze Siesta.
Fest an ihren Papa geschmiegt liegen auf dem Ehebett seine jüngsten Töchter Chiara und Perkania. Plötzlich hebt die Dreijährige den Kopf, horcht auf und lächelt. "Onkel?", fragt sie schelmisch grinsend. Ihr Onkel Ariel ist gerade zur Tür hereingekommen. Auch er ist vor drei Jahren auf der Suche nach Arbeit in den Touristenort gezogen. Jetzt verkauft er ebenfalls Souvenirs, direkt am Strand. "Ich kenne viele Touristen persönlich. Manchmal bringen sie mir Essen vom Frühstücksbüffet mit", sagt er und lacht, "das ist toll, das Brot aus den Hotels schmeckt so gut."
Ihre Sprachkenntnisse habe sich Roberto und sein Bruder selbst beigebracht, in Gesprächen mit den Touristen. " Ich habe einfach immer gefragt: Wie sagt man diese Wort auf Englisch: Wie sagt man diese Wort auf Englisch?"
Gastgeber für Touristen
Roberto Diaz hat noch zwölf Geschwister. Er verdient am meisten, doch die Lebenshaltungskosten schlucken fast alles. Trotzdem bitten ihn viele Familienmitglieder und Bekannte um Hilfe, Geld oder einen Job in einem der Souvenirläden oder Hotels. Roberto hat sich hier einen Namen gemacht. Bei den Chefs der Hotels und bei den Touristen. "Es gibt viele, die immer wieder kommen. Ich bin abhängig von ihnen. Viele kennen mich. Wenn ich einen guten Preis und einen guten Eindruck mache, dann kommen sie wieder und kaufen wieder bei mir."
Nicht selten lädt er ihm besonders sympathische Touristen zu sich nach Hause zum Essen ein. Er schämt sich nicht für seine Behausung. Im Gegenteil, mit Stolz präsentiert er seine Familie und zeigt sich als großzügiger Gastgeber. Die Touristen danken es ihm mit Geschenken. Selbst wenn sie längst wieder Zuhause sind, schicken sie Briefe, Päckchen mit Kinderkleidern, Spielzeug, Essen, Geld, Turnschuhe und auch Einladungen in ihre Länder.
Es ist zehn vor drei. Roberto schwingt sich auf sein Moped, Carolina klammert sich, zurechtgeputzt, an ihn. Sie freut sich auf den Nachmittag mit ihrem Stiefvater. "Auch wenn er arbeiten muss, bei ihm ist es immer lustig", sagt sie. Auch Roberto Diaz ist zufrieden, so wie es jetzt ist. Tauschen möchte er heute sein Leben trotz des täglichen Überlebenskampfes mit niemandem mehr.
Kathi Haid ist freie Journalistin und zur Zeit im Ausland unterwegs.