Form statt Inhalt? Kritik an Wittenberger "Lutherzwergen"
Der Künstler Ottmar Hörl hat mit der Installation der umstrittenen "Lutherzwerge" auf dem Wittenberger Marktplatz begonnen. Die rund 800 Figuren in den Farben purpurrot, moosgrün, kobaltblau und schwarz sind Abbilder des Lutherdenkmals, das gerade restauriert wird. Die Kunstaktion wird offiziell am Samstag eröffnet.
09.08.2010
Von Corinna Buschow

Luther bunt und im Zwergenformat 800-fach auf dem Wittenberger Marktplatz - das polarisiert. In einem Internetforum der "Mitteldeutschen Zeitung" sehen die Kommentatoren die Sache zunächst positiv. "Frischer Wind" urteilt "Lizzy" und hofft auf mehr Touristen in Wittenberg. Was sie und auch "Wolfgang 63", "K61" und "Sabine" bisher wohl noch nicht gehört haben, ist, dass die Inszenierung auch von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mitverantwortet wird.

Sie will mit den offiziell "Luther-Botschafter" genannten Figuren protestantische Inhalte vermitteln. Werbeexperten zweifeln aber daran, dass die evangelische Botschaft ankommt. "Luther würde mit dem Tintenfass nach den Initiatoren werfen", sagt der PR-Berater und frühere VW-Kommunikationschef Klaus Kocks. Die Aktion sei "peinlich und kontraproduktiv", wettert er wie vor ihm der Wittenberger Theologe Friedrich Schorlemmer.

Widerspruch zur reformatorischen Lehre?

Kocks ist überzeugt, dass "Form und Art des Auftritts" im Widerspruch zu Luther und seiner Lehre stehen und dass die Aktion daher keine Werbung für den Protestantismus machen kann. Die Kirche sollte sich gerade bei öffentlichkeitswirksamen Aktionen eher auf das Wort zurückbesinnen und Inhalte vermitteln, sagt der Politik- und Unternehmensberater. "Man muss sich mal vorstellen, der Platz vor dem Petersdom wäre mit Papstfiguren übersät", sagt Kocks, der selbst der evangelischen Kirche angehört. "Was will man denn damit aussagen?"

Die Hamburgerin Eva Jung, die selbst Werbung für christliche Inhalte macht, hörte in der vergangenen Woche zum ersten Mal von der Wittenberger Aktion und ist ebenfalls skeptisch. "Das ist ein komischer Umgang mit Luther", sagt Jung, die unter anderem für die Deutsche Bibelgesellschaft Design und Werbung für Übersetzungen des "Buchs der Bücher" verantwortet hat.

Falsche Fährte für Ahnungslose

"Die Kirche schafft es nicht, aus ihren alten Gemäuern herauszukommen", ergänzt sie. "Zur entscheidenden Zeit war doch Luther ein junger Rebell", sagt Jung. Wenn der Reformator aber wie auf dem Wittenberger Denkmal, das Hörl für seine Aktion ins Miniaturformat kopierte, wieder als alter Mann gezeigt werde, führe dies Ahnungslose auf die falsche Fährte.

"Werbende wissen, dass für die Botschaft nur eine winzige Aufmerksamkeitsspanne zur Verfügung steht", so Jung. Um die Idee der Luther-Figuren zu begreifen, brauche es aber mehr Beschäftigung - die meistens nicht investiert wird, ist sie sich sicher.

Als Heiligenfigur verkauft

"Ich habe noch gar keine Botschaft vernommen", sagt der ehemalige Wittenberger Superintendent Albrecht Steinwachs. Vor allem stört den 75-Jährigen, "dass Luther geradezu als Heiligenfigur verkauft wird". Tatsächlich sollen die Figuren nach dem Abbau Mitte September für 250 Euro pro Stück verkauft und Hörls Kunstaktion dadurch refinanziert werden. PR-Berater Klaus Kocks spricht gar von einer "Kommerzialisierung des Glaubens" und "Tingeltangel mit Ablass".

Prälat Stephan Dorgerloh, als EKD-Beauftragter in Wittenberg für die Aktionen in der Reformationsdekade bis 2017 verantwortlich, hört all die Kritik nicht zum ersten Mal. Er sagt, dass sich die Kirche, auch wenn sie das Projekt unterstütze und begleite, bei provozierender Kunst auch zurücknehmen müsse. "Und wo findet moderne Kunst schon hundertprozentige Zustimmung?" Schließlich sei die EKD auch finanziell nicht an der Aktion beteiligt. Der Künstler nehme das ganze Risiko auf sich, so Dorgerloh.

Lesung von Luthertexten

Der Prälat ist überzeugt, dass die Aktion bereits jetzt einen großen Teil des mit Hörl abgemachten evangelischen Auftrags erfüllt habe. So werde eine Wittenberger Kirchengemeinde täglich viertelstündige Lesungen von Luthertexten auf dem Marktplatz veranstalten. "Das Kunstwerk ist also Anlass, sich inhaltlich mit Luther zu beschäftigen", freut sich der Prälat.

Ob es gelingt, "wenigstens nachträglich dem ganzen Sinn zu verleihen", sieht hingegen der ehemalige Superintendent Steinwachs skeptisch. "Ich glaube nicht, dass so viele Menschen den gelesenen Luthertexten ein Ohr schenken werden", sagt Steinwachs. Auch Werbeexpertin Eva bleibt zurückhaltend. Es gelte abzuwarten, worüber in Wittenberg mehr geredet wird: Über die Figuren oder über Luther. "Wenn die Diskussion sich mehr um die Zwerge dreht, ist sie eigentlich den Atem nicht wert."

epd