Moskaus giftiger Smog hat seinen Brandgeruch längst auf jedes Bett gelegt. Die Menschen in der größten Stadt Europas finden kaum noch Luft zum Atmen - und das bei der größten Hitzeglut, die die Stadt seit mehr als 140 Jahren heimsucht. Die Metropole versinkt in einem düsteren Nebel, der so brenzlig riecht, das einem übel wird. Der brandige Dunst beißt in den Augen, trocknet den Rachen und reizt die Schleimhäute in der Nase. Schutzmasken sind nicht mehr zu haben. Auf dem Roten Platz - der dieser Tage eher der graue Platz ist - war nun auch der erste Passant mit Gasmaske zu sehen.
"Es ist entsetzlich. Keiner sagt, wie schädlich dieser Dreck für die Gesundheit ist, weil die wohl Panik verhindern wollen. Aber ich bleibe nur noch zu Hause - die Fenster sind zu", sagt der 28-jährige Moskauer Alexej. Nur noch wenige wagen sich ohne Mundschutz aus dem Haus. Wer keine Maske hat, benutzt feuchte Tücher oder bastelt aus Verbandsmull oder Watte einen Atemschutz. Besonders Kinder leiden immer stärker - besorgte Mütter suchen Ärzte auf, weil ihre Töchter und Söhne schwere Hautausschläge und Reizhusten bekommen.
Rat: zu Hause bleiben
Älteren Menschen mit Atembeschwerden empfehlen die Behörden schon seit Tagen, lieber zu Hause zu bleiben. Die Todesrate in Moskau stieg allein im Juli im Vergleich zum Vorjahresmonat um 50 Prozent auf mehr als 14.000 Menschen. Auch ohne Feuersbrunst im Umland ist Moskau mit seinen Dauerstaus alles andere als ein Luftkurort. Die Freisitze der Lokale bleiben leer - wo sonst viele Menschen auf die begehrten Plätze warten. Selbst die traditionell stark rauchgeschwängerten Gaststätten sind im Vergleich zur Straße Frischluft-Oasen.
Die Moskauer Behörden setzen alles daran, die Bevölkerung nicht zu beunruhigen. Der Verschmutzungsgrad sei "sehr hoch", heißt es. Allein der Gehalt an giftigem Kohlenmonoxid in der Luft sei fast siebenmal höher als zumutbar. Hinzu kommt eine extreme Feinstaubbelastung. Doch was dies für die Gesundheit genau bedeutet, erfahren die Moskauer nicht - traditionell ist das Umweltbewusstsein in Russland nur schwach ausgeprägt. Tatsache ist aber, dass der Smog jeden zum "schweren Kettenraucher" macht. Die Stadt ist im Ausnahmezustand.
Mit dem Feldbett ins Büro
Immer mehr Menschen spüren die Gesundheitsfolgen: Abgeschlagenheit und Unwohlsein, hoher Blutdruck und vor allem schwere Kopfschmerzen. Medizinische Notdienste sind seit Tagen im Dauereinsatz. Selbst bei Menschen mit Nerven wie Drahtseilen komme es zu aggressiven Wutausbrüchen schon bei banalen Dingen, oft entstünden Gefühle absoluter Hilflosigkeit, sagen Psychologen nach Angaben der Boulevardzeitung "Komsomolskaja Prawda".
In Moskau sind immer wieder Menschen mit Feldbetten auf der Straße zu sehen - sie ziehen um, in klimatisierte Büros oder zu Freunden, die bessere Luft haben. Einige Arbeitgeber in Moskau bestätigten, dass sie ganzen Familien aus den besonders verpesteten Teilen der Stadt Unterschlupf gewähren. Die Unruhe wächst. Die Stadt hat Massenveranstaltungen untersagt. Vergnügungsparks haben ihren Betrieb eingestellt.
Bürgermeister im Urlaub
Alle Polizeistreifen sind angewiesen, mit Blaulicht zu fahren, damit Bürger sie leichter erkennen können. Die Polizisten sollen auch die Erste Hilfe rufen und haben selbst Medikamente und Wasser dabei. Moskaus Bürgermeister Juri Luschkow erholt sich derweil im Urlaub - doch beschreibt nun sogar der vorzeitig vom Schwarzen Meer zurückgekehrte Präsident Dmitri Medwedew die Lage als "fürchterlich". Die Sonne über der Stadt ist nur noch als kleiner heller Punkt zu sehen.
Der Verkehr auf den Flughäfen ist schwer beeinträchtigt, der Smog ist zudem sogar bis tief in die Moskauer Metro vorgedrungen. Er ist längst zu einem Nebel des Grauens geworden. Zwar empfehlen Ärzte, die Stadt zu verlassen. Doch für die meisten gibt es kein Entrinnen.
Hilfe aus Deutschland
Nach offiziellen Angaben starben bislang mehr als 50 Menschen infolge der Wald- und Torfbrände. Hunderte Verletzte liegen in Krankenhäusern, Tausende sind auf der Flucht vor den Flammen. Russische Hilfsorganisationen schätzen, dass die Zahl der Toten weit höher liegt. Medwedew spendete aus eigener Tasche knapp 9.000 Euro für die Brandopfer. Hohe Beamte sollten sich daran ein Beispiel nehmen, sagte seine Sprecherin Natalia Timakowa.
Die Bundesregierung kündigte unterdessen an, 100.000 Atemschutzmasken nach Moskau zu schicken. Zudem stelle Deutschland Schläuche, Pumpen, Motoraggregate und weiteres Gerät zur Verfügung, teilte das Bundesinnenministerium in Berlin am Samstag mit. Das russische Zivilschutzministerium habe um entsprechende Unterstützung ersucht. Berlin hatte Moskau wiederholt Hilfe angeboten.