"30 Stunden Arbeit von Freitag bis Sonntag"
Maloche bis in die Nacht? Die geplante Novelle des Jugendarbeitsschutzgesetzes ärgert die Gewerkschaften - zumal Verstöße gegen die Schutzbestimmungen schon jetzt keine Seltenheit sind.
07.08.2010
Von Annette Scheld

Ein Jugendlicher, der eine Ausbildung zum Koch absolviert, darf in einem Restaurant bis spätestens 22 Uhr arbeiten. Die Realität ist indes vielerorts anders. Tatsächlich liegt das Arbeitsende für minderjährige Jugendliche an Freitagen und Samstagen in der Regel zwischen 22.30 Uhr und 23 Uhr, manchmal sogar nach Mitternacht. Das geht aus einer Studie der Unternehmensberatung AWiS-consult hervor. Verstöße gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz sind danach vor allem bei Bäckern und Konditoren sowie im Hotel- und Gaststättengewerbe keine Seltenheit.

"Von Freitag bis Sonntag habe ich oft mehr als 30 Stunden gearbeitet. An einigen Tagen habe ich von 16 Uhr bis 5 Uhr morgens gearbeitet und dann wieder um 9.30 Uhr angefangen", berichtet Lorenz J. Der 17-Jährige lebt bei Magdeburg und möchte Hotelfachmann werden. Neben den katastrophalen Arbeitszeiten musste er in seiner Ausbildung bei Abrissarbeiten helfen und Mauern hochziehen - Tätigkeiten, die nichts mit seiner Ausbildung zu tun haben. Überstunden wollte sein Arbeitgeber schwarz auszahlen. Lorenz J. hat schließlich gekündigt.

Chefs wünschen sich längere Einsätze

Arbeitgeber und Wirtschaftspolitiker fordern eine Lockerung des Jugendarbeitsschutzgesetzes. Es geht ihnen um eine Ausweitung der Arbeitszeiten, um Schichtverlängerungen sowie um Verkürzungen der Nachtruhe. Jugendliche sollen in allen Branchen bis 22 Uhr statt bis 20 Uhr arbeiten dürfen, in Gaststätten sogar bis 23 Uhr. In Bäckereien sollen sie künftig bereits um 4 Uhr und nicht erst um 5 Uhr mit der Arbeit beginnen dürfen. Im schwarz-gelben Koalitionsvertrag heißt es dazu: "Ausbildungshemmnisse im Gastgewerbe werden durch ein flexibleres Jugendarbeitsschutzgesetz abgebaut."

Am 9. August 1960 trat erstmals in Deutschland ein umfassendes Gesetz in Kraft, das sowohl das Verbot der Kinderarbeit als auch Jugendarbeitsschutzvorschriften enthielt. Das später mehrfach novellierte Jugendarbeitsschutzgesetz soll Minderjährige vor Überforderung und gesundheitlichen Gefahren am Arbeitsplatz schützen. Ungefähr die Hälfte der rund 500.000 Auszubildenden sind laut Bundesministerium für Bildung und Forschung unter 18 Jahren.

Längere Arbeitszeiten "unverantwortlich"

Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband spricht von bis zu 2.000 zusätzlichen Ausbildungsplätzen für Minderjährige gerade in den mittelständischen Betrieben, wenn diese länger arbeiten dürften. Gewerkschaften und Jugendverbände halten die Vorschläge für unverantwortlich. Sie warnen: Wer als Jugendlicher zu lange, zu früh oder zu schwer arbeitet, hat die Folgen im Alter zu tragen. Schon jetzt komme es etwa alle drei Minuten zu einem Arbeitsunfall, in den ein Jugendlicher verwickelt sei. Aus DGB-Statistiken geht hervor, dass bei jedem fünften Arbeitsunfall 15- bis 24-Jährige beteiligt sind.

"Wir sind vehement gegen diese Vorschläge", sagt Joachim Langecker, Bundesjugendsekretär der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Die Ausbildungsquote in diesen Branchen sei mit 15 Prozent bereits hoch. Während die Zahl der Auszubildenden stetig steigt, sinkt der Teil der Vollzeitbeschäftigten, die Ausbildungsinhalte vermitteln können.

"Auszubildende werden in dieser Branche oft nicht zur Ausbildung beschäftigt, sondern als vollwertige, aber schlecht bezahlte Dienstleistungskräfte", beklagt die NGG und weist darauf hin, dass die Abbrecherquoten in den betroffenen Berufen überdurchschnittlich hoch seien: Bei Köchen und Restaurantfachmännern und -frauen liege sie bei fast 40 Prozent. Die durchschnittliche Quote bei allen Ausbildungsberufen beträgt 21 Prozent.

Der 17-Jährige Lorenz J. ist froh, dass die NGG an seine Berufsschule kam und die Azubis informierte. Mittlerweile hat er den Betrieb gewechselt. An seinem Berufswunsch hält er fest: Er möchte immer noch Hotelfachmann werden. 

epd

Stichwort: Jugendarbeitsschutzgesetz

Jugendlicher im Sinne des Gesetzes ist, wer 15 Jahre, aber noch nicht 18 Jahre alt ist. Das Jugendarbeitsschutzgesetz regelt Arbeits- und Urlaubzeiten für diese Gruppe der Beschäftigten. Jugendliche dürfen von 6 bis 20 Uhr arbeiten: nicht mehr als 8,5 Stunden pro Tag, an fünf Tagen in der Woche, insgesamt nicht mehr als 40 Stunden pro Woche. Mehrarbeit und Wochenendarbeit sind nicht zulässig.

Es gibt jedoch zahlreiche Ausnahmen für die Bereiche Pflege, ärztlicher Notdienst, Schaustellergewerbe, Gastronomie und Landwirtschaft. So dürfen Jugendliche, die älter als 16 sind, in Gaststätten bis 22 Uhr arbeiten, in mehrschichtigen Betrieben sogar bis 23 Uhr. Jugendliche über 17 dürfen in Bäckereien bereits um 4 Uhr morgens mit der Arbeit anfangen.

Akkordarbeit oder gefährliche Arbeiten dürfen Jugendliche nicht ausführen. Das Gesetz soll Jugendliche vor Überforderung und Gefährdung am Arbeitsplatz schützen. Wer die Gesundheit oder Arbeitsfähigkeit eines Jugendlichen vorsätzlich gefährdet oder schädigt, begeht eine Straftat. Seit 2006 ist eine erneute Novellierung des erstmals am 9. August 1960 in Kraft getretenen Gesetzes in der Debatte.