Diese Woche bin ich gar nicht Zug gefahren. Meine Kinder sind verreist, ich war die ganze Woche in Frankfurt. Aber damit ich nicht aus der Übung komme, war ich abends zum Grillen bei Freunden eingeladen, deren Garten direkt an meiner ICE-Strecke Köln-Frankfurt liegt, genauer gesagt in Frankfurt-Niederrad. Schon lustig, dieser Perspektivenwechsel.
Normalerweiser bin ich ja die Mobile, die vom rasenden Zug aus auf gemütliche Landschaften guckt, auf Schrebergärten, wo das Leben so beschaulich aussieht. Meistens jätet jemand oder grillt oder sitzt behäbig auf einem Plastikstuhl. Zumindest sieht es so aus, wenn man im Zug dran vorbei fährt. Und weil der Mensch an sich ja undankbar ist und immer denkt, da ist es besser, wo er nicht ist – wird man manchmal neidisch. Denkt, menno, die haben es gut, die haben jetzt schon Feierabend und sitzen nicht im Pendlerzug. Die haben frische Luft und keine Klimaanlage. Die grillen eigene Steaks und nicht aufgetautes Bordbistro-Essen mit den Zusatzstoffen 4, 7 und 8.
Ein genialer Kompromiss
Aber jetzt, wo ich da sitze in diesem Garten und meinen ICE vorbeifahren sehe – denke ich: Wer da wohl fährt? Wo die wohl hinfahren? Ob ich was verpasse? Jedenfalls finde ich das einen genialen Kompromiss: Garten an der ICE-Strecke. Erstens hat man die Idylle des Gartens mit der Kulisse des Reisens. Und zweitens muss man alle paar Minuten – als Profi würde ich sagen, ziemlich genau um 17.10, um 17.17 und um 18.10 – kurz das Gespräch unterbrechen, weil man eh nichts versteht. Und das ist total gut zum Nachdenken, zum Themenwechsel oder um aufs Klo zu gehen.
Was mich angeht, wird das allerdings nichts mit Garten. Mir fehlt komplett das, was manche einen grünen Daumen nennen, ich habe mindestens zwei linke Hände. Selbst die zwei Geranienkästen auf meinem Stadtbalkon wären längst ein Friedhof, wenn nicht mein Lebensgefährte oder meine Nachbarin ab und zu gießen würden. Und ins Sozialgefüge eines Schrebergartens könnte ich mich nie einfügen.
Dem Schachtelhelm nicht gewachsen
Meine erste Kinderfrau, die den kleinen Leo vor über zehn Jahren betreut hat, bewirtschaftete einen Schrebergarten, ebenfalls an der Bahnstrecke, in Köln-Deutz. Für Leo, den Säugling, war es ein Paradies:
Total zugewuchert, mit summenden Bienen und einer fetten Katze. Aber bald bekam die Kinderfrau, eine alte Dame, die Kündigungsklage der Siedlergemeinschaft, weil sie dem Schachtelhalm im Garten nicht gewachsen war. Sie sollte größere Giftmengen einsetzen, die aber nicht nur für den Schachtelhalm, sondern auch für Leo ungesund gewesen wären. Wir suchten der alten Frau einen Anwalt, der zögerte den Rausschmiss zumindest hinaus, wir gruben selber am Wochenende ein bisschen an dem Schachtelhalm rum – aber die Natur war stärker. Und ich mag seither keine Schrebergärten.
Die ultimative Geschichte zum Thema ICE und Schrebergärten klaue ich jetzt aus Neon. "Im ICE. Eine indische Großfamilie schaut aus dem Fenster. Draußen taucht ein Schrebergarten auf. Der Himmel ist blau, die Sonne scheint, ein paar Rentner sitzen vor ihren Lauben, andere wässern die Beete. Der indische Vater streckt den Zeigefinger aus und ruft begeistert: look, look, very nice slums." Ich fahre nächste Woche in die Ferien. Schönen Sommer!
Über die Autorin:
Ursula Ott, 45, ist stellvertretende Chefredakteurin von chrismon, Chefredakteurin von evangelisch.de, Mutter von zwei Kindern und pendelt täglich zwischen Köln und Frankfurt. www.ursulaott.de.
Neu im Buchhandel: Ursula Ott: "JA TOLL - Geschichten, die immer nur mir passieren", erhältlich im chrismon-shop!
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