"Maria am Wasser", 7. August, 23.15 Uhr im WDR
Der Film sei "ein Brief aus einem untergegangenen Land", sagt Thomas Wendrich über sein Regiedebüt "Maria am Wasser". Er selbst hat dieses Land vor vielen Jahren verlassen; genauso wie seine Hauptfigur. Für die Daheimgebliebenen aber ist die Zeit wie bei einem Dornröschenschlaf stehen geblieben. Die wenigen Bewohner des kleinen sächsischen Ortes Neusorge haben kollektiv ein traumatisches Ereignis verdrängt: Wenige Jahre vor der „Wende“ ist ein Schwimmpanzer mit mehreren Kindern an Bord in der Elbe versunken. Die Tragödie wurde seither quasi buchstäblich totgeschwiegen. Das Leben ist trotzdem nicht weitergegangen.
Wendrich erzählt die Vorgeschichte mutwillig mysteriös; erst nach und nach setzen sich die Bruchstücke zu einem schlüssigen Bild zusammen. Man muss sich den Kern der Handlung also selbst erarbeiten, denn der Film scheint ihn nicht preisgeben zu wollen. Maßgeblichen Anteil an diesem Rätselraten hat die von Alexander Meyer mit gewohnt sparsamer Mimik verkörperte Hauptfigur: Marcus hat das Unglück damals überlebt, die Gunst der Stunde jedoch genutzt, um sich schwimmenderweise davonzumachen. Die Gründe für sein Verschwinden kann man gleichfalls nur erahnen. Allerdings wird sein Verhalten verständlich, als man seine Eltern kennen lernt: Mutter Maria (Marie Gruber) leitet das örtlicher Waisenhaus mit harter Hand, Vater Hannes (Hermann Beyer) ist ein wunderlicher Schafzüchter, der das Ende der Geschichte nicht erleben wird. Marcus, der in seinen Heimatort zurückgekehrt ist, um seiner Zukunft ein Gesicht zu geben, wie er sagt, gibt seine Identität erst mit viel Verzögerung preis.
Wendrichs bislang verfilmte Drehbücher ("Nimm dir dein Leben") beschrieben geschlossene Gesellschaften mit eigenen Gesetzen, was einen gewissen und im Fall von "Freischwimmer" sogar extrem hohen Reiz hatte. Hier aber ist die Gesellschaft derartig gestrig, dass man als Außenstehender ebenso wenig Zugang findet wie Hauptfigur Marcus. Die Dialoge sind von mitunter selbstgefälliger Rätselhaftigkeit. Gleiches gilt für so manche Metapher, mit der Wendrich seine Geschichte illustriert. Kaum hat der Vater ein Schaf dazu gebracht, ein verwaistes Lamm zu adoptieren, schlachtet er beide und kredenzt sie Marcus als Mittagsmahl: "weil Liebe durch den Magen geht"; gemeint ist die Liebe zwischen den Tieren. Und den Sex zwischen Marcus und dem einzigen vernünftigen Menschen im Ort, einer jungen Tschechin (Annika Blendl), konterkariert Wendrich mit den Aufnahmen eines geköpften Karpfens. Dabei hat er sich sicher etwas gedacht; aber Details will man eigentlich gar nicht wissen.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).