"Polizeiruf 110: Taubers Angst", 5. August, 20.15 Uhr im WDR Fernsehen
Jede Wiederholung zeigt aufs Neue, welch großartigen Filme die „Polizeiruf“-Beiträge mit Edgar Selge waren. "Taubers Angst" verdeutlicht noch mal das enorme Potenzial des einarmigen Jürgen Tauber. In dieser Geschichte wird der eigenbrötlerische Kommissar mit einem alten Trauma konfrontiert: Er leidet wieder unter Alpträumen, in denen ihm auch der zweite Arm abgehackt wird. Die Axt schwingt ein mutmaßlicher Mörder, den Tauber mit einem Bluff überführt hat.
Klaus Krämer hat die Geschichte seines dritten "Polizeiruf" Krimis aus München ganz auf Selge zugeschnitten; Michaela May spielt als erkältete Kollegin Obermaier diesmal die deutlich kleinere Rolle, sieht man mal davon ab, dass sie sich regelmäßig über die Alleingänge des Einzelgängers ärgert. Beide sind allerdings auch enorm frustriert, denn ein eigentlich glasklarer Fall entpuppt als unlösbar: Aus der Isar wird die Leiche einer erdrosselten Luxus-Prostituierten gefunden. Der Verdacht fällt selbstredend auf ihren letzten Kunden, den arroganten Geschäftsmann Denninger (Herbert Knaup), der im Grand Hotel lebt und auf „Würge- und Fesselspiele“ steht. Der aalglatte Denninger hat seinen Kopf schon öfter aus der Schlinge gezogen. Auch diesmal ist ihm nichts nachzuweisen – bis Tauber ihn mit einem Bluff reinlegt. Das bringt Denninger so in Rage, dass er Tauber beim Verhör fast erwürgt. Weil der Kommissar aber seine Kollegin wieder nicht eingeweiht hat, gibt es keine Zeugen für den Vorfall, und der Bluff wäre vor Gericht ohnehin haltlos. Als der mutmaßliche Mörder auch noch von einem Angestellten des Hotels entlastet wird, sieht Tauber nur eine Chance: Er quartiert sich ebenfalls im Grand Hotel ein und rekonstruiert den Abtransport einer Leiche.
Ignoriert man, dass Tauber den Schlüssel zur Überführung des Täters schon viel früher hätte finden müssen, ist Krämer ein Krimi von enormer Intensität gelungen. Er verzichtet dabei völlig auf alle erdenklichen vordergründigen Spannungselemente; der Psycho-Thriller lebt allein vom Zweikampf zwischen dem Kommissar und seinem Verdächtigen. Das Perfide an Krämers Konstruktion ist dabei die Machtlosigkeit des Polizisten: Für Tauber, der nach dem Mordversuch unter Angstvorstellungen leidet, ist der Fall sonnenklar, doch aus anderer Perspektive wirkt er wie besessen und Denninger wie das Opfer seiner Obsession.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).