Sogar die für Freitag geplante feierliche Amtseinführung des designierten Präsidenten Bronislaw Komorowski droht durch mögliche Tumulte der Kreuz-Verteidiger gestört zu werden. Pfadfinder hatten das schlanke Holzkreuz einige Tage nach dem Flugzeugunglück bei Smolensk aufgestellt, bei dem am 10. April der polnische Präsident Lech Kaczynski und 95 weitere Personen des öffentlichen Lebens starben. Das Einheitsgefühl der Trauer war nach der Katastrophe jedoch schnell vorbei.
Anhänger des verstorbenen Präsidenten warfen der Regierung vor, nicht genug Druck auf Russland auszuüben, um den Absturz aufzuklären. Das Kreuz geriet so zum Widerstandssymbol der Anhänger des verstorbenen Präsidenten, vor dem auch gegen die Regierung agitiert wurde, teils mit üblen Karikaturen. Das verschärfte sich, nachdem der designierte Präsident Komorowski, der der regierenden Partei Bürgerplattform angehört, Anfang Juli den Umzug anregte. Das religiöse Zeichen passe besser in eine Kirche als vor den Palast, erklärte Komorowski, der sich selbst als überzeugter Katholik darstellt.
Bruder des toten Präsidenten lehnt Kompromiss ab
In einem Kompromiss mit zwei Pfadfinderverbänden und der katholischen Kirchenleitung in Warschau wurde vereinbart, das Kreuz in die nahe gelegene Heilige-Anna-Kirche zu verlegen, mittels einer feierlichen Prozession. Doch Jaroslaw Kaczynski, der in der Präsidentschaftswahl gegen Komorowski scheiterte und Mitglieder seiner Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) protestierten gegen die Verlegung. Sie unterstellten, damit würde das Andenken der Toten von Smolensk verunglimpft.
Zuletzt hatten Tausende Anhänger am Dienstag den von staatlicher Seite verordneten "Umzug" des Kreuzes in die nahe gelegene Heilige-Anna-Kirche durch ihren Protest verhindert. Iwona Kuchniarz und ihre drei Freundinnen sind zufrieden. "Das Kreuz muss bleiben", meint die ältere Dame mit Strohhut selbstbewusst, die vor dem Präsidentenpalast demonstriert hatte.
Dilemma für katholische Kirche
Nach der gescheiterten Verlegung ist die Zahl der Kreuz-Befürworter gewachsen. Nur einen einwöchigen Ausflug des Kreuzes zu einer Pilgerveranstaltung zum "Hellen Berg", dem Nationalheiligtum in Tschenstochau, wollen sie genehmigen. Die katholische Kirche steckt in einem Dilemma: Geistliche, die das Kreuz in einer Prozession in die Kirche überführen wollten, wurden von einer Kruzifixe schwingenden Menge als "Kommunisten" geschmäht.
Das Episkopat hat sich bislang noch nicht geäußert. Kazmierz Nycz, der Erzbischof von Warschau, erklärte, er wolle sich in dem Streit nicht festlegen. Der liberale Flügel der Kirche riskierte deutlichere Worte: Der ehemalige Papstvertraute Adam Boniecki meinte, "das Kreuz habe in einer politischen Aktion seinen sakralen Charakter verloren". Die Kirche müsse nun einschreiten, erklärte der Geistliche, der die katholische Zeitung "Allgemeines Wochenblatt" leitet. Nach dem vorläufigen Sieg der Kaczynski-Anhänger zeigt die Regierung offenbar Nerven. Premier Donald Tusk drohte auf einer Pressekonferenz, das Kreuz, das rund um die Uhr von einem Grüppchen betender Menschen bewacht wird, notfalls mit Gewalt umsetzen zu wollen.
Solidarnosc-Erben sind gespalten
Das Problem mit dem Kreuz zeigt die tiefe Spaltung der Solidarnosc-Erben. Sowohl Tusk und Komorowski auf der einen Seite wie die Kaczynskis und andere Politiker engagierten sich in der Bewegung, die vor 30 Jahren in Danzig begann und zur Unabhängigkeit des Landes führte. Eine Straßenschlacht wäre kein schöner Jubiläumsauftakt. Allein die Postkommunisten, die ehemaligen Gegner der Solidarnosc, profitieren von dem Konflikt: "Der Staat hat vor den religiösen Fanatikern kapituliert", erklären die Politiker der oppositionellen Linksallianz (SLD) nach den Tumulten. Iwona Kuchniarz und ihre Freundinnen sind von anderen Meinungen unbeeindruckt: "Das Kreuz bleibt so lange, bis ein würdiges Denkmal für die Toten von Smolensk vor dem Palast steht".