In der Hartz-IV-Debatte hat sich der SPD-Parteivize und frühere Bundesarbeitsminister Olaf Scholz für einen Anstieg der Leistungen ausgesprochen. "Die Erhöhung der Regelsätze ist aufgrund der jetzt vorliegenden Einkommens- und Verbraucherstichprobe und der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zwingend", sagte Scholz der Tageszeitung "Die Welt" (Dienstag). Die konkreten Umsetzungspläne der Bundesregierung müssten bald auf den Tisch: "Sie sind allmählich überfällig", sagte Scholz.
Von der Leyen rechnet nicht mit einer Erhöhung
Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) war zuvor Hoffnungen auf erheblich höhere Hartz-IV-Sätze entgegengetreten. Es gebe keinerlei Hinweise darauf, dass 400 Euro monatlich erreicht würden, sagte die Ministerin. Es dürfe nicht zu einer weiteren Verringerung des Abstandes zwischen den Einkommen von Vollzeit arbeitenden Geringverdienern und Hartz-IV-Empfängern kommen.
Von der Leyens Ministerium arbeitet derzeit an der Neuberechnung der Hartz-IV-Regel-Sätze von 359 Euro. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar eine Neuberechnung verlangt und dafür eine Frist bis zum Jahresende gesetzt.
Grundlage: Mix von Preisentwicklung und Lohnentwicklung
Probleme bei der Entkoppelung anstehender Hartz-IV-Erhöhungen von der Rentenanpassung erwartet der CSU-Sozialexperte Max Straubinger. Eine Anhebung der Hartz-IV-Sätze nach der Inflationshöhe werde automatisch eine Debatte um einen Inflationsausgleich in der Rente nach sich ziehen, sagte Straubinger der "Passauer Neuen Presse" (Dienstag).
Der CSU-Bundestagsabgeordnete fordert deshalb, die Regelsätze weiterhin wie die Rente anzuheben, allerdings spezielle Dämpfungsfaktoren wie Riester- und Nachhaltigkeitsfaktor auszuklammern. Ein Nachhaltigkeitsfaktor dämpft den Rentenanstieg und berücksichtigt das Verhältnis zwischen Zahl der Rentner und der Beitragszahler.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar wird sich die Anpassung der Hartz-IV-Sätze künftig nicht mehr an der Rente orientieren. Maßstab soll nach den Worten von der Leyens stattdessen "ein Mix von Preisentwicklung und Lohnentwicklung" sein.
Experten warnen vor höheren Hartz-IV-Sätzen
Im Streit um die Reform von Hartz IV warnen Fachleute vor einer Anhebung der Regelsätze und einer Koppelung an die Preissteigerungsrate."Wer Hartz-IV-Sätze anheben will, muss sagen, wo zusätzlich gespart werden soll. Ansonsten kommt die Koalition nicht aus der Schuldenfalle", sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundes der Steuerzahler, Reiner Holznagel, der "Bild"-Zeitung (Dienstagsausgabe). Jeder Euro könne schließlich nur einmal ausgegeben werden.
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Klaus Zimmermann, erklärte, höhere Regelsätze für Alleinstehende würden die Anreize schwächen, eine reguläre Arbeit aufzunehmen. Zugleich warnte Zimmermann vor einer Koppelung der Hartz-IV-Sätze an die Inflationsrate: "Die Orientierung an den Preissteigerungsraten ist gefährlich." Sie könne dazu führen, dass eine Inflation noch verstärkt werde. Eine Orientierung an den Nettolöhnen bezeichnete Zimmermann dagegen als "plausibel".
Paritätischer: Erhöhung von Hartz IV ist zwangsläufig
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, äußert sich überzeugt, dass die Regelsätze für Hartz-IV-Empfänger erhöht werden. Die Statistik zu Einkommen und Verbrauch, nach der die Regelsätze berechnet werden, könne nicht beliebig interpretiert werden, sagte Schneider in einem Interview der "Passauer Neuen Presse" (Dienstagsausgabe).
Das Bundesverfassungsgericht habe die Spielräume eingeengt. "Es wird zu einer Erhöhung der Regelsätze für Erwachsene kommen", sagte Schneider. Das sei zwangsläufig. Schneider sagte, bei Kindern könnten Sach- statt Geldleistungen sinnvoller sein. Das gelte etwa für die Nachhilfe sowie für musische oder sportliche Betätigung. Da der Bildungsbereich in den Kinderregelsätzen bisher nicht berücksichtigt worden sei, werde man auch hier um eine zusätzliche Erhöhung der Geldleistung nicht herumkommen.
Kinderzuschlag und Wohngeld nachbessern
Als überfällig bezeichnete es der Chef des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, die Angleichung der Hartz-IV-Sätze von der Rentenanpassung abzukoppeln. Schneider: "Die Rente zum Gradmesser zu nehmen, war völlig unbegründet. Am sinnvollsten wäre es, die Regelsätze im gleichen Maß zu erhöhen, wie die Lebenshaltungskosten steigen." Politiker müssten vor einer solchen Entscheidung "auch gar keine große Angst haben", denn die Lebenshaltungskosten der Hartz-IV-Empfänger stiegen "regelmäßig geringer als beim Rest der Bevölkerung".
Um das Lohnabstandsgebot zu wahren, schlug Schneider vor, gleichzeitig mit einer Erhöhung der Hartz-IV-Sätze auch bei Kinderzuschlag und Wohngeld nachzubessern: "Diese beiden verhindern, dass Geringverdiener in das Hartz-IV-System fallen." Erhöhte Hartz-IV-Sätze führten sonst automatisch zu immer mehr Empfängern, weil immer mehr Menschen Anspruch auf ergänzendes Arbeitslosengeld hätten.