Trauerfeier in Duisburg: Tag der Stille
Eine Woche nach der Loveparade gedenkt Duisburg in einem ökumenischen Trauergottesdienst in der Salvatorkirche der Verstorbenen und Verletzten. Passanten sind an diesem Tag kaum in der Stadt unterwegs. Dafür Polizei, der Katastrophenschutz und jede Menge Medienvertreter.
31.07.2010
Von Maike Freund

Auch als der letzte Orgelton verklungen ist, erhebt sich keiner. Niemand hat es eilig, die Kirche zu verlassen. Keiner redet. Kein Rascheln ist zu hören. Die Menschen sind gefangen in den letzten Tönen, der Trauer um die 21 Opfer der Loveparade und in den Worten, die NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) vorher gesprochen hat: "Der Vater eines Opfers hat mir eine Bitte mitgegeben, die sich an uns alle richtet. Der grausame Tod seiner Tochter könne im Nachhinein noch einen Sinn bekommen, wenn dieser Tod uns mahnt, unser aller Wertesystem zu überdenken. Der Mensch, sein Wohlergehen und seine Sicherheit müsse wieder wichtigste Leitlinie unseres Handeln sein." Ihre Stimme zittert und später muss sie sich die Tränen aus den Augen wischen. Sie ist nicht die Einzige in der Kirche. Nicht die Einzige an diesem Tag.

Zwei Stunden zuvor: Ein ganz normaler Samstag bricht an. Die Marktstände auf der Königstraße, der Duisburger Einkaufsstraße, bieten wie jeden Samstag Obst, Gemüse, Blumen und Käse. Die ersten Geschäfte öffneten. Es ist nur stiller als an anderen Samstagen. Denn kaum einer ist unterwegs. Keine Straßenmusiker. Nur wenige Passanten. Dafür Polizisten und Sanitäter an jeder Ecke.

Kerzen und Blumen

Karl-Lehr-Straße. Die Straße, die zum Gelände des Güterbahnhofs führt. Die durch jene Tunnel führt, in denen die Panik ausbrach. Auf dem Bürgersteig vor der Unterführung: ein Meer aus Kerzen und Blumen. Eine Frau zündet eine Kerze an. "Ich war vergangene Woche hier. Als die Massenpanik ausbrach, war ich schon durch den Tunnel. Ich hatte die ganze Zeit so ein ungutes Gefühl. Und mir war es zu voll. Also bin ich gegangen". Seitdem kämpft sie mit unterschiedlichen Gefühlen. Trauer um die Toten und Verletzten, Dankbarkeit, dass sie die Panik nicht mitbekommen hat. Und mit ihrem schlechten Gewissen, weil sie davon gekommen ist.

Sechs Minuten dauert der Gang durch die niedrigen Tunnel. Maximal. Denn der Weg ist frei. Die Straße ist gesperrt, abgeriegelt von bewaffneten Polizisten. Durchgang heute nur für Presse. Der Weg: gesäumt von Kerzen, Blumen, Plakaten, Fotos und Andenken. Zu hören ist nichts. Nur die Schritte, die durch die Stille hallen. Auf einem schwarzen Plakat steht: Nichts wird mehr so werden, wie es war.

Katastrophe vor der Haustür

Auf dem Weg zwischen dem Gelände des Güterbahnhofs und der MSV Arena stehen Wohnhäuser und Schrebergärten. Gertrud Meise (Name geändert) ist mir ihrem Hund unterwegs. Sie wird nicht zur Trauerfeier gehen. Nicht in die Kirche, nicht in die MSV Arena, wo der Gottesdienst für all jene übertragen wird, die in der Kirche keinen Platz mehr finden. Sie war vergangene Woche nicht zu Hause, weil sie dem Lärm entgehen wollte, den Partywütigen und den Alkoholisierten, denn ihre Wohnung liegt direkt an der Unterführung. Sie ist dankbar, dass sie nicht dabei sein musste, als die Katastrophe direkt vor ihrer Haustür passierte. Meise trauert auch. Aber nicht in der Öffentlichkeit.

Fünfzehn Minuten entfernt liegt die MSV Arena. Noch sind es nur wenige, die sich hierher auf den Weg machen. Auch um elf Uhr, als der Gottesdienst beginnt, sollen nur rund 1.100 Menschen gekommen sein. Eine von ihnen hat sich schon früh auf den Weg gemacht. Sie hat einen Schrebergarten, der an das Gelände der Loveparade grenzt. Vergangenen Samstag hat sie alles live miterlebt: Erst die Musik und die Tanzenden, dann die Rettungshubschrauber und die Polizei bis tief in die Nacht. Sie kann bis heute nicht begreifen, was passiert ist. Sie ist immer noch fassungslos. Und will, dass der Bürgermeister Konsequenzen zieht. Schließlich ist er das Stadtoberhaupt.

Nicht alleine trauern

Lara und Nadja sind in der Arena angekommen. Sie tragen Blumen mit sich, sind schwarz gekleidet. Niemand, den sie kennen, ist auf der Loveparade ums Leben gekommen. Aber sie wissen, wie leicht es sie selbst hätte treffen können. Denn auch sie haben die Panik im Tunnel gespürt. Heute sind sie gekommen, weil sie immer noch nicht richtig begreifen können. Damit wollen sie nicht allein sein, sie wollen mit anderen trauern

Vor der Salvatorkirche: Keine Menschenmassen. Dafür Ü-Wagen, Kameraleute, Journalisten mit Mikrophonen, Sanitäter und Polizisten. Auch in der Kirche: Sicherheitsmänner. Denn Angela Merkel kommt. Aber die Kanzlerin bleibt still, gibt kein Statement mehr vor den Kameras ab. Auch wenn es so vorgesehen war. Denn Hannelore Kraft, die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin, hat schon alles gesagt, was wichtig war. "Wir können Ihren Schmerz nicht ermessen und nicht lindern."
 


Maike Freund ist freie Journalistin und lebt in Dortmund