Es sind einfache Worte, es sind traurige Worte, in denen die ganze Wahrheit steckt hinter dem Unglück auf der Loveparade in Duisburg am vergangenen Samstag. "Die Loveparade wurde zum Totentanz", sagt der amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, der rheinische Präses Nikolaus Schneider, in seiner Predigt bei der Trauerfeier in der Salvatorkirche Duisburg.
Viele sind gekommen, um Abschied zu nehmen. Abschied von 21 jungen Menschen, die feiern und tanzen wollten, und für die die Loveparade zum Totentanz wurde. Die Salvatorkirche ist besetzt. In der ersten Reihe sitzen Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundespräsident Christian Wulff, Bundestagspräsident Norbert Lammert und die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Auch viele Angehörige sind gekommen. Viele weinen und halten sich gegenseitig im Arm, als zu Beginn Johann Sebastian Bachs "Erbarme Dich o Herre mein" gespielt und das Kondolenzbuch zum Altar getragen wird, in das sich so viele Menschen eingetragen haben.
Trauer im Stillen
"Das Kondolenzbuch und das Licht der Kerzen sind vom Tunnel am alten Güterbahnhof zu uns in die Kirche getragen worden. Bitterkeit und Hoffnung, Zorn und Trost, Zweifel und Gewissheit sind hier", sagt Pfarrer Martin Winterberg.
Einige Menschen trauern vor der Kirche, in zwölf anderen Kirchen, in die die Trauerfeier übertragen wird, im Duisburger Fußballstadion oder - offenbar die meisten - zuhause, allein und in aller Stille. Duisburg trauert. Und mit Duisburg trauert Deutschland. Und mit Deutschland trauern Menschen aus der ganzen Welt.
"Trauer und Verzweiflung, Hilflosigkeit und Wut halten uns wie Ketten gefangen", sagt Präses Schneider. Er ruft die Bilder wach, die die Menschen in den vergangenen Tagen überall gesehen haben. Bilder von Menschenmassen, die in einem Tunnel feststecken und Bilder von Menschen, die leblos an einer Treppe hängen oder am Boden liegen. Bilder, die die Menschen in den Zeitungen, im Fernsehen oder im Internet gesehen haben.
Schreckensbilder
"Schreckensbilder besetzen unser Denken und Fühlen: junge Menschen, die verzweifelt um ihr Leben kämpfen; fassungslose Menschen, die ihrer Trauer und Wut ungefiltert Ausdruck geben; erschütterte Helferinnen und Helfer, Polizistinnen und Polizisten, die selbst Hilfe und Ermutigung brauchen, aber auch Erwachsene, die wie versteinert Verantwortung von sich weg schieben", sagt Präses Schneider.
Verantwortung! Das Wort liegt wie Blei über der Trauerfeier. Wer trägt Schuld an dem Unglück? Diese Frage beschäftigt die Menschen seit Tagen. Und es gibt bislang keine Antwort. Der Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland ist nicht zur Trauerfeier erschienen. Er wolle niemanden mit seiner Anwesenheit provozieren, hat er gesagt. Und er hat wohl Angst vor der Wut der Menschen und davor, dass diese dieser Wut tatsächlich Ausdruck geben. Der Veranstalter Rainer Schaller ist ebenfalls nicht in der Kirche.
Und doch ist es kein wütender, sondern ein stiller Gottesdienst, in dem die Trauer die Wut überlagert. In einem besonders bewegenden Moment entzünden Helfer, die bei der Loveparade im Rettungseinsatz waren, 21 Kerzen zur Erinnerung an die Toten. Dazu spielt ein Cello Musik von Johann Sebastian Bach. Zwischen den Predigten spielt eine Bass-Klarinette.
Die Frage nach der Schuld
Die Frage nach der Schuld, auch Präses Schneider und der katholische Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck können sie nicht beantworten. Aber sie beantworten andere Fragen und sie spenden Trost. Dafür bedankt sich auch die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft in einer kurzen Ansprache nach dem Gottesdienst, die sie mit tränenerstickter Stimme hält. "Es braucht Zeit, um all das zu begreifen, was geschehen ist", sagt sie und verspricht den Angehörigen und Trauernden: "Sie sind nicht allein."
"Der Tod kann unsere Liebe zu den Menschen, die wir verloren haben, nicht auslöschen. Unsere Liebe sucht und findet neue Wege und neue Formen", sagt Präses Schneider in seiner Predigt. Ein Gedanke, den auch Bischof Overbeck in seiner Predigt aufgreift: "Es bleibt schwer, mit dem zu leben, was geschehen ist. Und doch bleibt etwas und geht weiter, was auch der Name der ,Loveparade' zum Ausdruck bringt: die Liebe", sagt er. "In der Bibel heißt es, dass Gott die Liebe ist. Sie bleibt, sie verbindet uns Menschen, miteinander und mit Gott - über den Tod hinaus. Denn die Liebe ist stärker als der Tod. Und sie trägt durch die Schrecken dieser Tage hindurch."
Liebe! Liebe zu den Menschen, zur Musik und zur Gemeinschaft: all das sollte auch Teil der Loveparade sein, bevor sie zum Totentanz wurde. Gott gebe keine Antworten auf viele unserer Fragen, sagt Bischof Overbeck. "Und doch heilt er und ist da: für die Toten, für die Verletzten, für die Trauernden, für die Fragenden und auch für diejenigen, die sich der Verantwortung stellen müssen."
Internet: Der Trauergottesdienst ist inzwischen auch bei Youtube eingestellt und kann dort angesehen werden.
Henrik Schmitz ist Redakteur bei evangelisch.de