Großmannssucht führte zur Tragödie von Duisburg
Es ist zwar ein etwas verschrobener Brauch, dass in Behörden die obersten Chefs die Verantwortung tragen, meint Ernst Elitz. Doch in Duisburg hat das Geltungsbedürfnis der Stadtväter mit zur Katastrophe bei der Loveparade beigetragen. Außerdem erläutert unser Kolumnist, warum Volksabstimmungen die Demokratie fördern können und was der Fall Kachelmann über den öffentlich-juristischen Umgang mit Prominenten verrät. Jede Woche stellt evangelisch.de drei Fragen an Ernst Elitz.
30.07.2010
Die Fragen stellte Bernd Buchner

evangelisch.de: 21 Menschen haben bei der Loveparade in Duisburg ihr Leben verloren. Warum fällt es Veranstaltern und Behörden so schwer, ihren Teil der Verantwortung für dieses Drama zu benennen?

Ernst Elitz: Benennen ist die eine Sache. Jeder Beteiligte in einem so komplizierten Verantwortungsgeflecht, wie es das deutsche Versammlungsrecht vorgibt, kann der Öffentlichkeit und der Staatsanwaltschaft nach bestem Wissen und Gewissen das eigene Verhalten benennen. Das hat die Polizei der Stadt Duisburg relativ schnell getan. Und selbstverständlich hat auch der Bürgermeister nicht Unrecht, wenn er darauf verweist, selbst en Detail und mit eigener Unterschrift an der Genehmigung dieses Massenauflaufs nicht beteiligt gewesen zu sein. Dafür gibt es in jeder geordneten Organisation – ob Stadt oder Unternehmen – andere Instanzen. Aber der oberste Chef trägt die Verantwortung. Das ist ein alter und auch etwas irrealer Brauch. Spöttisch und resignierend sagen die Oberchefs häufig: "Ich bin für alles verantwortlich, was ich nicht beeinflussen kann." Hier liegt die Sache aber etwas anders. Die Großmannssucht hat eine Kommune, die vor der Welt glänzen wollte, aber nicht abschätzen konnte, was da auf sie zukommt in das Abenteuer Loveparade und in die Hände eines ebenso unerfahrenen Veranstalters getrieben. Die einen verwalten ansonsten das Elend einer verarmten Stadt, der andere betreibt Muckibuden. Das so etwas nicht gut gehen kann, das hätte der Oberbürgermeister erkennen müssen. Und für dieses Versagen muss er seine Verantwortung bekennen.

evangelisch.de: Das Volk hat gesprochen – in Bayern gegen das Rauchen in Kneipen, in Hamburg gegen längeres gemeinsames Lernen. Wann gibt es in Deutschland bundesweite Volksabstimmungen?

Ernst Elitz: Das Volk will gar nicht ständig entscheiden. Es weiß, dass es nicht allwissend ist. Deshalb scheitern die meisten Volksentscheide schon daran, dass die Initiatoren beim vorgeschalteten Volksbegehren gar nicht genügend Stimmen für das angestrebte Plebiszit bekommen. Wenn das Volk ständig hineinregiert, wird das Land unregierbar. Und man sollte das Volk auch nicht über religiöse Fragen wie Minarette oder weltpolitische Verknüpfungen wie Afghanistaneinsatz und Euroeinführung abstimmen lassen. Das wäre Stimmungsdemokratie. Ein Volksentscheid aber kann sinnvoll sein, wenn eine Regierung selbst nicht mehr weiß, was sie eigentlich will – wie beim bayerischen Rauchverbot – oder wenn eine Reform nur aus koalitionstaktischen Erwägungen zustande kommt – wie bei der Hamburger Bildungsfrage. Solche Volksentscheide können exemplarisch sein für die Demokratie. Sie erinnern die Politiker an ihre Pflicht, nicht nur auf den Funktionärskörper, sondern auf den Bürger zu hören. Sie sind – falls man das nach Mixa noch sagen darf – der sprichwörtliche leichte Schlag auf den Hinterkopf, der bekanntlich das Nachdenken anregt. Und insoweit eine Stärkung der repräsentativen Demokratie. Die Politiker müssen wissen, je besser ihre Argumente, desto weniger Plebiszite.

evangelisch.de: Jörg Kachelmann ist wieder ein freier Mann, doch der Vergewaltigungsvorwurf bleibt. Ist unter diesen Umständen überhaupt noch eine objektive Urteilsfindung im Prozess denkbar?

Ernst Elitz: Die Richter des Oberlandesgerichts haben ihren Kollegen für die Hauptverhandlung dankenswerterweise schon einige Hinweise für eine objektive Urteilsfindung mit auf den Weg gegeben. Sie halten die Anklage für dürftig. Der Eifer, mit dem Staatsanwälte bei Prominenten gelegentlich vorgehen, ist bekannt. Das Verfahren gegen eine fernsehbekannte Persönlichkeit rückt auch sie ins Licht, nicht immer ins beste. Ein Skandal war auch die öffentliche Vorführung der Sängerin Nadja Benaissa von den No Angels, die die Staatsanwaltschaft publikumswirksam vor ihrem Bühnenauftritt festnehmen ließ und anschließend den Boulevardmedien ihr heldenhaftes Vorgehen steckte. Oder die Abführung Zumwinkels durch eine aufgedonnerte Staatsanwältin im Frühstücksfernsehen. Manchmal wird auch der juristische Anstand vergewaltigt.


Prof. Ernst Elitz, Jahrgang 1941, lebt als freier Publizist in Berlin. Nach seinem Studium der Germanistik, Theaterwissenschaften, Politik und Philosophie kam er über Stationen wie den "Spiegel" und das öffentlich-rechtliche Fernsehen zum Deutschlandradio, das er als Gründungsintendant von 1994 bis 2009 leitete. Alle seine Drei-Fragen-Kolumnen finden Sie hier auf einen Blick.