Streubomben-Verbot: Ächtung einer heimtückischen Waffe
Die heimtückischen Killer lauern oft noch Jahre nach dem Abwurf im Erdreich: Streubomben sind aus Sicht von Menschenrechtlern nicht weniger gefährlich als Landminen. Am Sonntag tritt ein Übereinkommen zum Verbot von Streumunition in Kraft.
30.07.2010
Von Jan Dirk Herbermann

Der kleine Wahid Kamel (12) schlendert mit seinem Bruder durch ein Stadtviertel von Kerbela im Irak. Er sieht etwas Schimmerndes, hebt es auf. Die anschließende Explosion reißt ihm die rechte Hand ab, er verliert drei Finger der linken Hand, Metallsplitter durchsieben seinen Körper. Das Objekt, nach dem der Junge arglos gegriffen hat, war Streumunition - eine tödliche Hinterlassenschaft der US-geführten Streitkräfte aus dem Golfkrieg von 2003. Wahid erduldet in der Folge vier Operationen. Auch sein verletzter Bruder muss behandelt werden. Um das zu bezahlen, verkaufen seine Eltern den Großteil ihres Besitzes.

Auch Deutschland ratifiziert

Damit sich Schicksale wie das von Wahid nicht wiederholen, unterzeichneten bis Mitte Juli 107 Staaten das Übereinkommen über Streumunition, 37 ratifizierten es, darunter auch Deutschland. Das vor zwei Jahren in Dublin geschlossene Abkommen tritt am Sonntag in Kraft und sieht ein weitgehendes Verbot der Waffen vor. Die Länder ächten den Einsatz, die Entwicklung, die Produktion, die Lagerung und die Weitergabe der meisten Sprengsätze.

Laut der Konvention sollen die Streitkräfte innerhalb von acht Jahren ihre Bestände zerstören. Bestimmte Kategorien von Streumunition bleiben jedoch von dem Verbot unberührt, etwa Sprengkörper, die sich elektronisch selbst vernichten oder deaktivieren können. Und: Die riesigen Arsenale der führenden Militärmächte USA, Russland und China bleiben ganz verschont - diese drei Staaten sperren sich gegen das gesamte Abkommen.

Das US-Verteidigungsministerium bezeichnet Streumunition als "legitime Waffen mit klarem militärischem Nutzen". Immerhin verbieten die Amerikaner den Export fast aller Sprengkörper. Und sie wollen ab 2018 die Munition nur noch beschränkt verwenden. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch lobt vor allem den US-Ausfuhrstopp: "Das ist eine wichtige Kehrtwende in der US-Politik", betont Steve Goose, Rüstungsexperte von Human Rights Watch.

"Meilenstein des humanitären Völkerrechts"

Insgesamt werteten Regierungen und Experten die Vereinbarung von Dublin als Erfolg. Das Auswärtige Amt bezeichnete die Einigung als "Meilenstein zur Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts". Der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Jakob Kellenberger, betonte: In Zukunft werde das Abkommen "gewaltiges Leiden unter Zivilisten verhindern".

Rüstungsgegner schätzen: Mehr als 90 Prozent der bisher 14.000 verstümmelten und getöteten Opfer trugen keine Uniform. "Die Streumunition ist auch deshalb so gefährlich, weil die Blindgängerrate extrem hoch ist", betont Thomas Küchenmeister von der Organisation Landmine.de. "Weder Soldaten im Kampf noch Zivilisten erkennen die Streumunition."

Eifrige US-Amerikaner

Die Streumunition wird in Containern von Artilleriegeschütze und Militärflugzeugen abgeschossen. Nach dem Öffnen der Behälter, verteilen sich Hunderte kleiner Bomben auf Flächen von bis zu 30.000 Quadratmetern. "In über 20 Ländern sind heute ganze Landstriche, die mit nicht explodierter Munition übersät sind, so gefährlich wie Minenfelder", warnt das Rote Kreuz. Besonders eifrig verschossen die Amerikaner Streumunition: Vom Vietnamkrieg in den 1960er Jahren über den Golfkrieg zu Beginn der 90er Jahre bis hin zum Krieg in Afghanistan 2001 und 2002. Vor zwei Jahren bekriegten sich noch Russen und Georgier mit Hilfe von Streubomben.

Jetzt sollen die Vertragsstaaten die gefährlichen Rückstände räumen. Und Überlebende wie der kleine Wahid aus dem Irak können auf Hilfe hoffen: Die Staaten verpflichten sich, den Opfern medizinischen und psychologischen Beistand zu leisten. Verletzte mit bleibenden Schäden sollen sich in Rehabilitationszentren auf ein neues Leben vorbereiten.

epd