Loveparade: Behörden geben dem Veranstalter die Schuld
Der NRW-Innenminister und die Polizei erheben schwere Vorwürfe gegen die Veranstalter der Loveparade: An kritischen Punkten seien zu wenig Ordner gewesen. Anweisungen der Beamten seien nicht umgesetzt worden. Dem Polizeisprecher kamen bei seinem Bericht die Tränen.
28.07.2010
Von Petra Kaminsky und Frank Christiansen

Vier Tage nach der Katastrophe bei der Loveparade hat der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger schwere Vorwürfe gegen den Veranstalter erhoben. Die Organisatoren hätten ihr Sicherheitskonzept im Eingangsbereich nicht umgesetzt, sagte der SPD-Politiker. Er präsentierte am Mittwoch in Düsseldorf einen vorläufigen Bericht der Polizei zur Massenpanik vom Samstag. In der Nacht zum Mittwoch erhöhte sich die Zahl der Toten auf 21. Eine 25 Jahre alte Frau aus Heiligenhaus bei Essen starb im Krankenhaus.

"Ich spüre die Stimmung in der Öffentlichkeit. Es wird als unerträglich empfunden, dass nicht gesagt wird, was passiert ist", sagte der Minister. "Was ich als ebenso unerträglich empfinde, ist die Tatsache, dass die Verantwortung auf Seiten der Veranstalter und der Stadt als Genehmigungsbehörde abgeschoben wird." Der Minister stellte am Mittwoch einen vorläufigen Bericht der Duisburger Polizei zum Loveparade-Unglück vor, bei dem 21 Menschen starben und mehr als 500 verletzt wurden. 25 davon lagen am Mittwoch noch in Krankenhäusern.

"Schwachstellen" in der Zusammenarbeit

Die Loveparade wurde von der Lopavent GmbH organisiert. An ihrer Spitze steht der Fitness-Unternehmer Rainer Schaller. Sowohl Schaller als auch der Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland sind seit dem Unglück in der Kritik. Der Innenminister bemängelte Schwachstellen beim Zusammenwirken mit der Polizei. Er stelle sich eine gute Zusammenarbeit mit der Stadt, die die Genehmigung der Polizei erst kurz vorher ausgehändigt habe, anders vor, sagte Jäger. Sie soll erst Samstag gekommen sein.

Der nordrhein-westfälische Polizeiinspekteur Dieter Wehe schilderte die dramatischen Abläufe am Unglückstunnel. Dabei kamen ihm Tränen, als er über die zu Tode gequetschten Menschen sprach.

Das Ordnungssystem der Veranstalter sei an vielen Punkten zusammengebrochen. So sei das Gelände statt um 11 Uhr erst kurz nach 12 Uhr geöffnet worden, berichtete der Inspekteur der Landespolizei, Dieter Wehe. Schon zu diesem Zeitpunkt hätten sich große Rückstaus an den Einlassschleusen gebildet.

Am westlichen Tunneleingang sei die Hälfte der Schleusen zunächst gar nicht von Ordnern besetzt gewesen. Dadurch hätten sich dort zeitweise bis zu 20.000 Angereiste aufgestaut. Die Wartenden seien vor den Schleusen bereits unruhig und aggressiv geworden.

Hilferuf um 15.30 Uhr

Um 15.30 Uhr habe der Veranstalter die Polizei schließlich um Hilfe gebeten, nachdem "das Geschehen außer Kontrolle geraten" sei, berichtete Wehe. "Als das Ordnungssystem der Veranstalter zusammenbrach, hat die Polizei alles getan, was der Veranstalter zu tun hätte - die Menschen davor zu schützen, erdrückt zu werden", sagte Jäger. "Ich glaube, dass die Zahl der Opfer noch sehr viel höher gewesen wäre, wenn es das beherzte Eingreifen der Polizei nicht gegeben hätte."

Der Veranstalter habe seine Ordner um 15.46 Uhr angewiesen, die Schleusen zu sperren, damit keine Menschen in den überfüllten Tunnel nachströmen. Dies sei aber nicht umgesetzt worden, sagte Wehe. Die Veranstalter hätten zudem Zaunelemente entfernt, um Krankenwagen durchzulassen. Durch die Zaunlücken seien dann Menschen eingeströmt.

Kurz vor 17 Uhr hätten die Videokameras auf dem Gelände keine Bilder mehr übertragen. Verzweifelte Hilfesuchende hatten die Kabel durchtrennt, als sie an Containern hochkletterten, wo die Kameras installiert waren. Um 17.02 Uhr habe die Polizei über den Notruf die erste Meldung eines Anrufers erreicht, dass es Opfer auf der Rampe am Ausgang des Tunnels gebe. Da es zwischen Polizei, Veranstaltern und Krisenstab Verbindungskräfte gegeben habe, gehe er davon aus, dass die Verantwortlichen davon ebenso unmittelbar erfahren hätten, sagte Wehe.

Die Ordner hätten nicht ausgereicht. Es sei auch noch unklar, ob der Veranstalter, wie zugesagt, 150 private Kräfte gestellt habe. Sie hätten die Besucher zum Weitergehen auffordern sollen. Dies habe aber nicht funktioniert. Ein Absperrzaun sei umgerissen worden und die Menschen drängten zur Treppe an der Rampe. Dadurch habe sich der Druck enorm erhöht. "Die Zaunelemente wurden zur Stolperfalle." In diesem Bereich seien 14 Menschen unmittelbar gestorben. "Im Tunnel kam es zu keinem Todesopfer."

"Ordner haben versagt"

Die Polizei habe im Vorfeld Sicherheitsbedenken zur Situation am Tunnel und an den Rampen beim Veranstalter vorgetragen, berichtete Wehe. Änderungen am Sicherheitskonzept seien fest zugesagt worden, an entscheidenden Stellen aber nicht erfolgt. 4000 Landespolizisten und 1300 Bundespolizisten waren im Einsatz.

Nach Angaben von Wehe war "die maximale Durchlaufmenge" im Tunnel mit 30.000 Menschen pro Stunde und Schleuse kalkuliert worden. Dies habe aber nicht gewährleistet werden können - unter anderem, weil die Menschen stehenblieben, um die am Tunnelausgang vorbeifahrende Wagenparade anzusehen. Auch hier hätten die Ordner versagt.

Das Gelände war für maximal 250.000 Besucher zugelassen. "Die Veranstaltungsfläche war zu keinem Zeitpunkt auch nur annähernd ausgelastet", sagte Wehe. Dies gelte aber nicht für die neuralgischen Punkte an Tunnel und Rampe.

Zu Vorwürfen, die Polizei sei auf dem Gelände nicht präsent genug gewesen, sagte Wehe: "Es ist unsere Philosophie, uns zurückzuhalten. Das ist ja keine Auseinandersetzung rivalisierender Gruppen. Die Menschen wollten Spaß haben." 

Über Einwände hinweggesetzt?

Kurz vorher hatte die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, dass sich Lopavent als Veranstalter mehrfach über Bedenken der Behörden hinweggesetzt haben soll. So hätten die Veranstalter in ihrem Sicherheitskonzept 150 Ordner für den Bereich der Rampe und des Tunnels versprochen. Vermutlich seien dann aber weniger Ordnungskräfte eingesetzt gewesen, schrieb das Blatt.

Der Unternehmer Schaller hatte dagegen bisher betont, alle Auflagen der Behörden erfüllt zu haben. Schaller gibt der Polizei eine Mitschuld. Nach seinen Angaben ließ die Einsatzleitung alle Schleusen öffnen, wodurch der Besucherstrom unkontrolliert in den Tunnel gelangen konnte. Schaller wird vorgeworfen, aus Profitgier die Sicherheit vernachlässigt zu haben. Das weist er zurück.

Auf Duisburgs Oberbürgermeister Sauerland wächst der Druck ebenfalls. Der CDU-Politiker will einem Zeitungsbericht zufolge nicht an der geplanten Trauerfeier am Samstag teilnehmen. Sauerland wolle "die Gefühle der Angehörigen nicht verletzen und mit seiner Anwesenheit nicht provozieren", sagte ein Sprecher der Duisburger Stadtverwaltung.

Die Zeitung "Rheinischen Post" zitierte zudem Polizeikreise, dass auch Sicherheitsbedenken zur Absage geführt hätten. Es seien Morddrohungen gegen Sauerland ausgesprochen worden. Sauerland wird angegriffen, weil er die Loveparade unbedingt in Duisburg haben wollte und das Riesenfest genehmigte.

Schwerstes Unglück seit Jahrzehnten

Bisher sind 13 Frauen und acht Männer an ihren Verletzungen gestorben. Sie waren zwischen 18 und 38 Jahre alt. Mehr als 500 Menschen wurden verletzt. Am Mittwoch lagen noch 25 Menschen in Krankenhäusern. Das sagte ein Sprecher der Kölner Polizei. Zur Schwere ihrer Verletzungen konnte er keine Angaben machen. Die Massenpanik ist das nunmehr schwerste Unglück in Nordrhein-Westfalen seit fast 40 Jahren.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) ordnete zur Trauerfeier am Samstag bundesweit eine Trauerbeflaggung an. Der ökumenische Gottesdienst soll am Samstag um 11.00 Uhr in der Duisburger Salvatorkirche stattfinden. Ihn werden der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck und der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Nikolaus Schneider, leiten. Er ist auch amtierender Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Inzwischen gab es erste private Trauerfeiern. In Münster nahmen Familie und Freunde in aller Stille Abschied von drei getöteten Studentinnen.

Politisch werden die Rufe nach Konsequenzen für künftige Großveranstaltungen lauter. So will das Land Nordrhein-Westfalen neue bundeseinheitliche Regelungen für solche Events erreichen. Das Bundesinnenministerium begrüßte den Vorschlag, Kommunen bei der Organisation von Großveranstaltungen zu helfen. Die Innenministerkonferenz von Bund und Ländern will sich mit dem Thema beschäftigen. 

dpa