"Die Todesautomatik", 3. August, 20.15 Uhr auf 3sat
Es ist ein billiger Gag. "Zonenkoller", stellt der Chef des Nachrichtenmagazins fest und erntet das erwartete Gelächter seines Gefolges. Dabei war der Zornesausbruch, dem der arrogante Kommentar galt, absolut berechtigt: Leib und Leben hat Manfred Brettschneider riskiert, um einen jener berüchtigten Todesautomaten an der innerdeutschen Grenze abzumontieren. Dass es diese Selbstschussanlagen gab, stand damals, Mitte der Siebziger, außer Zweifel; aber alle, die davon im Westen hätten Zeugnis ablegen können, waren tot oder saßen in ostdeutschen Zuchthäusern.
Er ist ein starker Typ, dieser "Manne", der ein bisschen zu gut aussieht, um sein Dasein tatsächlich derart obsessiv der Bekämpfung seiner früheren Heimat, der DDR, zu widmen. Aber er ist authentisch, was diesem ZDF-Film zusätzliche Brisanz verleiht. In der wütenden Reaktion Brettschneiders kulminiert sich sein ganzer Hass auf die Bundesrepublik, die ihn zwar aus der DDR-Haft freigekauft hat, aber es dabei offenbar auch bewenden lassen will. Seine lebensgefährliche Nacht-und-Nebel-Aktion wird unter den Teppich gekehrt, weil das Tauwetter im Kalten Krieg nicht gefährdet werden soll und die Bundesregierung lieber auf eine Politik der kleinen Schritte setzt.
Klugerweise bietet Autor Wieland Bauer nicht den unberechenbaren Brettschneider (Misel Maticevic), sondern den von den Ereignissen stets etwas überrollt wirkenden Lutz (Stephan Kampwirth) als Identifikationsfigur an, einen typischen besten Freund des Helden. Auch er hat ein authentisches Vorbild. Bloß die gemeinsame Vorgeschichte ist Fiktion: Rund 15 Jahre zuvor einte die beiden ihre Liebe zum Rock’n’Roll und die Verachtung all jener Altersgenossen, die sich in der blauen FDJ-Uniform zu Knechten des Staates machten. Als der "Brigade Ted Herold" am 14. August 1961 der Weg nach West-Berlin versperrt wird, machen die Jungs ihrem Unmut in der Nacht Luft. Das Regime antwortet mit einem statuierten Exempel auf die Parolen am Parteibüro ("Lieber tot als rot") und verurteilt die beiden zu lebenslanger Zuchthausstrafe; sie landen auf dem "Dunghaufen der Geschichte", wie es bei der propagandistisch ausgeschlachteten Urteilsverkündung heißt.
Sieht man darüber hinweg, dass der erwachsene Lutz seinem jugendlichen Alter ego (Robert Gwisdek) nicht mal flüchtig ähnlich sieht und der Zeitsprung daher etwas abrupt wirkt, ist Niki Stein ein fesselnder Film gelungen. Die Siebziger sind für all jene, die sie jugendlich erlebt haben, ein erfahrungsgemäß dankbares Sujet, und Ausstatter Benedikt Herforth hat für ein angemessen liebevoll gestaltetes Szenenbild gesorgt. Es sind ohnehin die Details am Rande, die den Film über seine zentrale Botschaft hinaus (Stein will ihn ausdrücklich als "Beitrag gegen Geschichtsvergessenheit" verstanden wissen) zum Sehvergnügen machen: die von Lutz großäugig bestaunte westdeutsche Freizügigkeit, das kontrollierte Mitgefühl der damals noch nicht so genannten "Wessis", die kleinen, aber beredten Gesten des Vertrauens zwischen den Freunden. Dem gegenüber fällt die politische Ebene zwangsläufig didaktischer und vor allem weniger elegant aus, wenn „Manne“ beispielsweise einen Diavortrag über verblutende Maueropfer hält. Um so packender und mit unverblümten Anleihen beim Agentenfilm inszeniert Stein, der seinen Ruf neben Psychodramen ("Die Konferenz", "Bis nichts mehr bleibt") vor allem einer Vielzahl bemerkenswerter "Tatort"-Krimis verdankt, die Grenzerfahrungen, wenn das Duo die alten Freunde in den Westen holt.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).