"The Fog of War", 28. Juli, 20.15 Uhr auf Arte
Eigentlich sollte das Interview nur dreißig Minuten dauern; es wurden zwanzig Stunden draus. Gekürzt auf Spielfilmlänge, ist "The Fog of War" ein erschreckendes Lehrstück in taktischer Kriegsführung. Strategen sollten sie sich die elf "Lehrsätze" von Robert S. McNamara zu eigen machen: nicht, um Kriege zu führen, sondern um sie verhindern. In entsprechende Kapitel teilt Errol Morris seinen Film auf, und obwohl er aus praktisch nichts anderem als einem langen, langen Interview besteht, ist "The Fog of War" ein Dokument von eindrucksvoller Intensität. Das liegt natürlich auch an dem teilweise hochbrisanten Material, etwa den erst jüngst freigegebenen Tonbandmitschnitten aus Konferenzen oder dem bislang unveröffentlichten Bildmaterial.
McNamara war Anfang der Sechzigerjahre amerikanischer Verteidigungsminister und damit einer der mächtigsten Männer überhaupt. Gemeinsam mit den Kennedys brachte er 1962 die Kuba-Krise, als Amerika und die Sowjetunion 13 Tage lang am Abgrund eines Nuklearkrieges balancierten, zu einem glücklichen Ende. Allerdings trug er auch eine Mitverantwortung für das amerikanische Engagement in Indochina. Doch wie lautet einer der elf Lehrsätze: "Jeder hat das Recht, aus seinen Fehlern lernen zu können".
Vordergründig ist Morris’ Film die Biografie jenes Mannes, dem selbst seine Freunde die kühle Logik einer "IBM-Maschine" attestierten und der sich von seinen Gegnern ganz andere Attribute gefallen lassen musste (arroganter Diktator, Faschist, Mörder). Selbstkritisch räumt McNamara ein: "Ich war ein Kriegsverbrecher", nur deshalb nicht zur Rechenschaft gezogen, weil er zu den Siegern gehörte. Er bezieht sich damit auf den Zweiten Weltkrieg, als er maßgeblich daran beteiligt war, dass praktisch jede größere Stadt Japans dem Erdboden gleichgemacht wurde. Kein Wunder, dass die damals verantwortlichen Generäle 17 Jahre später nicht zögerten, Kuba der gleichen Behandlung zu unterziehen, was McNamara gemeinsam mit den Kennedy verhindern konnte: weil er sich (ein weiterer Lehrsatz) in die Lage des Feindes versetzte.
Trotzdem sei das Happy End reine Glückssache gewesen. Lehrsatz Nummer zwei: "Vernunft wird uns nicht retten". Oder sei es etwa vernünftig, dass 7.500 strategisch einsetzbare Atomwaffen unter dem Befehl eines einzigen Menschen stünden? Die Generäle von damals seien heute noch der Meinung, man habe Kuba auslöschen sollen; und die Sowjetunion gleich mit.
Während McNamara eine gewisse Eitelkeit nicht fremd ist, hält sich Morris gänzlich zurück. Hin und wieder hört man ihn eine Frage stellen; ansonsten gehört der Film seinem Gast, den er willig Tempo und Struktur diktieren lässt. Morris fragt nach Vietnam, McNamara blättert zurück ins Jahr 1945. Morris fragt erneut nach Vietnam, McNamara muss erst mal die Kuba-Krise abarbeiten. Trotzdem bekommt Morris seine Antworten, die zudem von brisanter Aktualität sind: Die Parallelen zwischen Vietnam und Irak sind unübersehbar. Das Gespräch wurde zwar vor dem zweiten Golfkrieg der USA geführt, doch ausdrücklicher Hinweise bedarf es ohnehin nicht.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).