Opfer enttäuscht über erstes Urteil im Rote-Khmer-Prozess
Wegen Kriegsverbrechen, Folter und Mord ist "Duch", der berüchtigte Folterchef der Roten Khmer, zu 35 Jahren Haft verurteilt worden. Höchstens 19 davon muss er absitzen. Duch wird für die Tötung von 14.000 Menschen zwischen 1975 und 1979 verantwortlich gemacht.
26.07.2010
Von Michael Lenz

Chum Mey Sirath ist bitter enttäuscht vom ersten Urteil im Rote-Khmer-Prozess in Phnom Penh zusammen. Die Richter haben Kang Kek Eav, besser bekannt unter seinem Aliasnamen Duch, zu 35 Jahren Haft verurteilt. Davon abgezogen wurden elf Jahre für die Zeit, die Duch ohne rechtliche Grundlage in einem kambodschanischen Militärgefängnis verbracht hat.

Damit muss der 68-jährige nur noch 19 Jahre hinter Gittern verbringen. Viel zu wenig, wie Überlebende und die Angehörigen der 14.000 Toten von S 21 - dem heutigen Völkermordmuseum Tuol Sleng - finden. "Ich befürchte, dass Duch durch die üblichen Amnestien zu Anlässen wie dem Khmer-Neujahr noch früher aus dem Gefängnis entlassen werden könnte", sagt Chum Sirath, dessen beide Brüder und Schwägerinnen in Tuol Sleng ermordet wurden.

Spaziert er eines Tages wieder durch Phnom Penh?

Aufgebracht über das Urteil sind auch junge Kambodschaner wie der 29 Jahre alte Pov, die die Rote-Khmer-Ära nicht mehr aus eigener Erfahrung kennen. "Das ist nicht richtig. Der muss viel länger in Haft. Ich will nicht, dass Duch eines Tages freikommt, durch Phnom Penh spaziert und sich in einer Shopping Mall einen Burger kauft", sagt Pov, ein Taxifahrer, der vor dem 15 Kilometer außerhalb von Phnom Penh gelegenen Gerichtsgebäude auf Kunden wartete, während im Gericht der Angeklagte Duch in seiner üblichen Gelassenheit der Urteilsverkündung zuhörte, gerade so, als sei auch er nur ein Zuschauer eines Spektakels, in dem ein anderer die Hauptrolle spielt. .

Was ist Gerechtigkeit für einen Massenmörder? Diese schwierige Frage hatte das Tribunal zu beantworten ihm Rahmen internationaler rechtsstaatlicher Standards. Dass dem Anklagten, der für 12.270 dokumentierten, vermutlich aber für mehr als 14.000 Morde an angeblichen Regimegegnern, Anhängern der von Rote-Khmer-Chef gestürzten Regierung von Lon Nol, Opfern von Säuberungsaktionen der Kommunistischen Partei von Kampuchea, vietnamesischen Kriegsgefangenen und 160 Kindern verantwortlich ist, ein fairer Prozess gemacht wird, ist für Opfer wie Chum Sirath nur schwer nachvollziehbar.

In allen Anklagepunkten schuldig befunden

Dass Duch in allen Anklagepunkten von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verstößen gegen die Genfer Konvention, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung bis hin zu Mord, Folter und Verfolgung politisch andersdenkender von den Richtern für schuldig befunden wurde, wertet Silke Studzinski durchaus als positiv.

Aber auch die Berliner Anwältin, die im Auftrag des Zivilen Friedensdienstes und des Deutschen Entwicklungsdienstes Rote-Khmer-Opfer als Nebenkläger vor dem Tribunal vertritt, ist enttäuscht über das Strafmaß. "Dass die Richter auch die Entschuldigung Duchs gegenüber den Opfern als strafmildernd gewertet haben, ist absolut unverständlich. Durch seinen Antrag auf Freilassung am Ende des Verfahrens hat er diese Entschuldigung doch wieder vollständig entwertet", sagt Studzinski.

Korruptionsvorwürfe gegen Mitarbeiter des Tribunals

Die bisherige vierjährige Arbeit des Tribunals sehen Prozessbeobachter mit gemischten Gefühlen. Niemand äußert einen Zweifel daran, dass das 72-tägige Verfahren gegen Duch fair war. Sorge bereiten aber die noch immer nicht aufgeklärten Korruptionsvorwürfe gegen die kambodschanischen Mitarbeiter des aus nationalen und internationalen Juristen zusammengesetzten Tribunals. Auch ist es ein offenes Geheimnis, dass Kambodschas Ministerpräsident Hun Sen mit aller politischen Macht verhindern will, dass über den "Fall 002" gegen vier ehemalige Führungskader der Roten Khmer hinaus - der Prozess beginnt 2011 - weitere Ermittlungen durchgeführt werden, die in zusätzlichen Anklagen münden könnten.

Chum Sirath ist allerdings nur teilweise zufrieden mit dem Verfahren gegen Duch, an dem er als Nebenkläger beteiligt war. Zwei Ziele wollte der IT-Unternehmer, der selbst die Rote-Khmer-Ära am französischen Exil überlebt hat, erreichen: dass seine Brüder und Schwägerinnen und die vielen tausend anderen Toten von Tuol Sleng keine anonymen Opfer bleiben. Und dass die Wahrheit darüber ans Licht kommt, wann, wo und wie seine Familienangehörigen ums Leben gekommen und wo sie bestattet sind. "Als Buddhisten müssen wie die Toten durch religiöse Zeremonien ehren. Dafür müssen wir aber wissen, wo sie gestorben sind", sagt Chum Sirath und fügt traurig hinzu: "Das erste Ziel habe ich erreicht, das zweite nicht."

Kein gutes Haar lässt Chum Sirath an Duch. "Der ist immer noch ein Roter Khmer. Seine Konvertierung zum Christentum, seine Entschuldigung während des Prozesses gegenüber den Opfern, das ist alles nur Show. Als echter Kommunist ist er mit allen Techniken der Manipulation vertraut", sagt Chum Sirath und als ein Beispiel die Schlussplädoyers seiner Anwälte. Der französische Anwalt Francois Roux hatte für ein mildes Urteil plädiert, während der kambodschanische Verteidiger Kar Savuth schlicht einen Freispruch verlangte - zur offenkundigen Überraschung von Ko-Verteidiger Roux.

"Das ist doch genial. Wie immer das Urteil ausgeht, Duch ist der Gewinner", sagte Chum Sirath wenige Tage vor der Urteilsverkündung. Dass Duch seinen Anwalt Roux nur 14 Tage vor der Urteilsverkündung Knall auf Fall das Mandat entzog, wertet Chum Sirath als einen weiteren cleveren Schachzug des kühl kalkulierenden ehemaligen Mathematiklehrers. "Damit steht nur noch sein Antrag auf Freispruch, und alle Entschuldigungen und Teilgeständnisse sind wertlos", sagte Chum Sirath.

Zehntausende Kambodschaner verfolgten an diesem historischen Montag an ihren Radios und Fernsehern live die erste Urteilsverkündung, mehr als 30 Jahre nach Ende der Terrorherrschaft der Roten Khmer. Nur Ministerpräsident Hun Sen schaute lieber in die Zukunft und verbrachte den "historischen Tag" mit wirtschaftspolitischen Gesprächen in Singapur.


Michael Lenz ist freier Journalist in Südostasien und schreibt regelmäßig für evangelisch.de.